Der schmutzige Traum vom Laubbläser

Seit Kolumnistin Julia Karnick einen eigenen Garten hat, ist ihr romantischer Blick auf die Natur ein wenig getrübt. Besonders beim Anblick des bunten Herbstlaubs kämpft der Ordnungsteufel mit dem Umweltengel in ihr.

Frau mit großer Brille
Foto: Melina Mörsdorf

Oft heißt es, die Jugend sei unbeschwert, nämlich fähig, frei von Zukunftssorgen die Gegenwart zu genießen. Ich halte das für eine Verklärung. Schon als 18-Jährige machte ich mir ständig Sorgen, obwohl es damals offiziell noch keine Klimakatastrophe gab.

Ich war besorgt, weil ich nicht wusste, was ich am Samstagabend und mit meinem Leben machen sollte. Ich fragte mich sorgenvoll, ob es auch für mich eine passende Jeans und einen passenden Mann gäbe. Ich sorgte mich darum, ob ich es je schaffen würde, das Bad zu putzen und einen Beruf zu finden.

Nur in einer Hinsicht war ich tatsächlich unbekümmerter als heute: Nie habe ich schon im Frühling an den Herbst gedacht und an das viele Laub, das dann herumliegen würde. Das tue ich erst, seit ich nicht mehr jung bin und einen großen Garten habe. Jedes Jahr das Gleiche: Im Frühling schlagen die Bäume aus, alle jauchzen, weil der Winter endlich vorbei ist, und ich jauchze mit.

Die Freude über das Frühjahr

Auch mich betört es immer wieder aufs Neue: das lichte Grün der frischen Blätter, die überall sprießen, so auch an der Birke, dem Kirschbaum, der Buchenhecke und allerlei Sträuchern in unserem Garten und an der Eiche auf dem Gehweg vor unserem Haus. Mein Jauchzen wird jedoch seit vielen Jahren gedämpft von dem Wissen, dass das frische Grün sich bald gelb, rot oder braun färben, altersschwach vom Baum fallen und auf Rasen und Wegen liegend darauf warten wird, zusammengeharkt zu werden. Und zwar von mir, der Hausbesitzerin, die aus inzwischen recht langer Lebenserfahrung weiß: Der nächste Herbst kommt viel schneller, als man denkt.

Illustration Laub Laubbläser
Illustration: Christine Rösch

Nachteile eines Laubbläsers 

Jetzt zum Beispiel ist schon wieder einer nah bis da. Und mit ihm wie jeden Herbst die Frage, ob wir uns nicht doch anschaffen sollten, was anzuschaffen wir uns verboten haben: einen Laubbläser. Der Laubbläser ist ein böses Gartengerät. Erstens macht er einen irren Krach, also die Benutzerinnen und Benutzer taub und die anderen wahnsinnig. Zweitens frisst er Energie. Im besten Fall Ökostrom, im schlechtesten Benzin, sodass er auch noch schädliche Abgase ausstößt. Drittens: Ein mit bis zu 220 Stundenkilometern Luftgeschwindigkeit blattfrei geblasener Garten mag gepflegt wirken, aus ökologischer Sicht ist er eine Sauerei. Ohne vor sich hin verrottendes Herbstlaub mangelt es Würmern, Insekten und Spinnen an Nahrung und Lebensraum, was auch die Vögel ins Unglück stürzt.

Noch böser ist nur der Laubsauger, der das am Boden krabbelnde Kleinstgetier mit den welken Blättern aufsaugt und zerkleinert: Bio-Hack von der falschen Sorte. Auch der Boden leidet, wenn er im Winter nackt daliegt statt von Blättern bedeckt, die ihn vor Austrocknung und starker Kälte schützen. Es gibt also nichts, was dafür spricht, sich als Hobbygärtnerin einen Laubbläser anzuschaffen. Außer: meine extrem große Unlust, so lange Laub harken zu müssen, bis sich trotz Handschuhen Blasen an meinen Händen bilden.

Die prächtige Eiche

Den Hauptanteil am Wundwerden meiner Hände trägt dabei die Eiche vor unserem Haus, die ihrer schieren Größe wegen schuld daran ist, dass ich heimlich von so etwas Verbotenem wie einem Laubbläser träume. Es handelt sich um eine im Jahr 1960 gepflanzte Stieleiche mit einem Stammumfang von 195 Zentimetern und einem Kronendurchmesser von 16 Metern, wie man dem öffentlich einsehbaren Straßenbaumkataster der Stadt Hamburg entnehmen kann. Ja, so was gibt es. Die prächtige Eiche lebt vor unserem Schlafzimmer, also mit uns zusammen; ich schlafe in ihrer Obhut ein, ich wache in ihrer Gegenwart auf. In heißen Sommern wird sie von mir gewässert, denn ich liebe sie. Nur im Herbst, da hasse ich sie auch ein bisschen.

Dann liege ich im Bett, sehe ihr dabei zu, wie sie ihr riesiges Blätterkleid einfach auf die Straße und in unseren Garten wirft. Und wer muss das alles wegmachen? Immer ich, ihre Mitbewohnerin. Es ist also Herbst. Eine kalte Windböe fährt der Eiche in die schon ziemlich gerupfte Krone. Ich liege im Bett und sehe einen nächsten Stoß brauner Blätter zu Boden segeln. Ich sage zum neben mir liegenden Mann: „Vielleicht gibt es ja inzwischen ganz leise, solarbetriebene Laubhaucher?“ „Vergiss es!“, sagt der Mann. „Das kommt mir nicht in den Schuppen. Denk an unsere Spinnen, Larven und Nachbarn. Man kann sich nicht von März bis Oktober am Anblick der Natur laben wollen, um im November aus schnöder Faulheit zu naturfeindlichen Mitteln zu greifen! Garteneigentum verpflichtet, und zwar zur Harke!“ „Du hast ja recht“, seufze ich und mache schnell die Augen zu, denn wer das Laub eines so alten Baumes per Handarbeit zusammenkratzt, muss ausgeschlafen sein.

Gruenes Buchcover
Wie vom Naturschutzverein empfohlen, werde ich das Laub auf unseren Beeten und unter der Hecke verteilen, es zwischen den Sträuchern am Rand des Gartens zu Haufen auftürmen – und ganz leise darauf hoffen, dass sich ein Igel darüber freut.

Julia Karnick liebt es, an ihrem Hamburger Schreibtisch zu sitzen und mit Blick auf Blauregen, Eiche und Schlitzahorn Kolumnen und Bücher zu schreiben. Mit „Am liebsten sitzen alle in der Küche“ erscheint jetzt ihr Romandebüt über drei Freundinnen und ihre raffinierte Rache an einem fiesen Typen.