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Grüne Inspiration

Tomatenpflanze mit kleinen, grünen Tomaten
Sorgen für andere: Die Tomate alarmiert ihre Nachbarpflanzen mit Duftstoffen, wenn ein Angriff durch Raupen droht | Foto: Stocksy

Die Pflanzenwelt regt uns Menschen seit jeher zu technischen Innovationen an. Von den floralen Lehrmeistern können wir uns aber auch viel abschauen über ein gelungenes Miteinander, über Kommunikation und Standhaftigkeit in den Stürmen des Lebens.

Was alles können wir uns von den Pflanzen abgucken? Der Klettverschluss zum Beispiel, der ruckzuck alles zusammenhält. Der Klettverschluss gehört zu den bekanntesten Beispielen aus der Bionik. Patin für das Prinzip war die Klette. Blattadern und Wurzelgeflechte dienen uns als Vorbild für die Logistik. Der Lotuspflanze verdanken wir Know-how über schmutzabweisende Oberflächen.

Bionik: Erfindungen, die von der Natur inspiriert sind 

Der Forschungszweig der Bionik (der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten Biologie und Technik) ist ein Innovationstreiber mit langer Tradition. Schon der große Künstler und Erfinder Leonardo da Vinci beobachtete im 15. und 16. Jahrhundert die „Mechanik“ der Natur und lernte von ihr und ihren Bionik Beispielen. Die traditionelle Pflanzenheilkunde wiederum hat der Pharmazie immer wieder entscheidende Impulse gegeben. Was die Evolution in Millionen von Jahren in der Natur erprobt und entwickelt hat, dient in Medizin, Physik und Materialforschung bis heute als Ideengeber. Viel jünger ist die Erkenntnis, dass wir von der Flora auch in Sachen Resilienz, Kommunikation und Diversität lernen können.

In der Biologie war man sich lange Zeit einig: Pflanzen sind simple Geschöpfe, die vor allem eines tun: automatisch wachsen. Doch neuere Forschungen zeigen, dass viele Gewächse ihre Umwelt präzise wahrnehmen. Sie können auf ihre ganz eigene Art Berührungen, Schall, Licht und Geschmäcker erkennen und sogar miteinander kommunizieren – Sinnesleistungen, die lange nur Menschen und Tieren zugetraut wurden.

Anders als Leonardo da Vinci können Forschende heute die fast unhör- und oft unsichtbaren Aktivitäten der Pflanzen mit Hightech-Instrumenten messen und analysieren. Manche der gesammelten Daten geben große Rätsel auf: Warum sondern die Wurzelspitzen von Mais Klicklaute ab? Und wie machen sie das? Und kann es sein, dass das Basilikum einen Sound produziert, der Paprika und Chili besser wachsen lässt? Vieles ist noch ungeklärt, verändert hat sich aber jetzt schon der Blick auf die Flora.

Die Schweiz spricht in ihrer Verfassung Pflanzen Würde zu. Ecuador ist das erste Land, das die Natur, also Insekten, Flüsse, Pflanzen, zum Rechtssubjekt erhoben hat. Dadurch kann in dem Andenstaat nun die Natur selbst Klage erheben, anwaltschaftlich vertreten durch Menschen. Der deutsche Jurist Jens Kersten, Professor an der Ludwig-Maximilians-Uni in München, fordert, dass Ökologie auch bei uns zum verfassungsrechtlichen Staatsprinzip wird, ähnlich wie die Menschenwürde.

Bionik – Beispiele aus der Natur

Mit tieferem Wissen über Blumen, Büsche und Bäume können wir unser menschenzentriertes Weltbild erweitern – und für uns erkennen, dass im Pflanzlichen Weisheiten liegen, von denen wir lernen können. So können wir an ihrem Beispiel beobachten, wie bedeutsam die Kraft von Kontakt und Berührungen für alles Lebendige ist.

Zu ihrem Schutz reagieren Pflanzen oft sehr sensibel auf Erschütterungen. Die berühmte Mimose (Mimosa pudica) etwa: Schon eine leichte Berührung am äußeren Rand der Fiederblätter sorgt dafür, dass sich das ganze Blatt in einer Kettenreaktion nach innen faltet. Mit „mimosenhaft“ beschreibt man im Deutschen einen sehr empfindlichen Menschen. Wir sollten diesen Begriff nicht länger abwertend verwenden, sondern als respektvolles Lob für besondere Feinfühligkeit und sinnvolles Setzen von Grenzen. Eine Topkompetenz!

Stürme wiederum bedeuten für Büsche und Bäume besonders heftige Berührungen, denen sie standhalten müssen. Gelingt dies, löst der Druck Wachstumsreize aus und sie entwickeln eine robustere, schützende Wuchsform, die wir oft beim Wandern an Steilküsten beobachten können. Solche sturmerprobten Stämme können uns durchaus als gedankliches Modell dienen, wie Gegenwind, zum Beispiel in Form von Kritik oder Schicksalsschlägen, uns im positiven Sinne fordert und formt und uns reifen und wachsen lassen kann.

Perspektivenwechsel durch Pflanzen

Natürlich: Das Ökosystem der Pflanzen kann uns keine 1:1-Handlungsanleitung für unseren Alltag geben. Oder wie der israelische Biologe Daniel Chamovitz schreibt: „Pflanzen spüren kein Bedauern und entwickeln kein Empfinden für einen neuen Job.“ Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass sie ein Bewusstsein oder emotionale Zustände haben. Aber wir können ihre Lebensweise als Einladung zum Perspektivwechsel verstehen. So sind Pflanzen, die mit dem Ort zurechtkommen (müssen), an dem sie einmal Wurzeln geschlagen haben, Meister der Beharrlichkeit und Anpassung an das Gegebene.

Das Beste aus dem Hier und Jetzt machen

Wir Menschen haben zwar Beine. Dennoch erleben auch wir immer wieder Situationen, an denen wir nichts ändern können. Sofort den Job wechseln, die Familie verlassen, eine neue Wohnung finden, wenn es schwierig wird? Manchmal besteht auch für uns Menschen die einzige Handlungsmöglichkeit darin, das Beste aus dem Hier und Jetzt zu machen.

Pflanzen wissen, wie das geht. So sind bei vielen die Blätter entlang des Stängels spiralförmig angeordnet. Der Winkel zwischen zwei Blättern ist dabei ziemlich exakt 137,5 Grad. An der Universität Tübingen fanden Forschende am Beispiel der Ackerschmalwand heraus, dass das Wachstumshormon Auxin dafür sorgt, dass neue Blätter so weit wie möglich entfernt von bereits existierenden Blättern entstehen und so den goldenen Winkel bilden. Der Vorteil: Jedes Blatt hat so optimale Bedingungen, zu wachsen und vom Licht zu profitieren. Was können wir daraus ableiten? Unsere Position in der Gruppe beeinflusst, wie sich die Menschen in unserem direkten Umfeld entfalten können – und umgekehrt! Denken wir beim nächsten Konflikt im Kollegium an die Pflanzenwelt, wird uns vielleicht das Systemische unseres Daseins bewusst – und wie sehr Zusammenarbeit und Rücksichtnahme uns alle weiterbringen.

Tomaten sind Teamworker

Pflanzen kooperieren auch zu ihrem Schutz, fand man an der Universität von Pretoria, Südafrika, heraus: Sobald eine Akazie von einem Tier angeknabbert wird, gibt sie den gasförmigen Signalstoff Ethylen ab. Unbeschädigte Blätter am Baum können das Notsignal erkennen. Sie produzieren dann ein für Tiere schädliches Gift und geben zusätzlich den Warnduft in die Umgebung ab, um andere Akazien zu warnen.

Die Tomate macht es ähnlich. Wird das Nachtschattengewächs von Raupen attackiert, alarmiert es mit Duftstoffen seine Nachbarpflanzen. Und heften Schmetterlinge ihre Eier an den Rosenkohl, lockt dieser mit einem speziellen Duft deren natürliche Fressfeinde herbei, die Schlupfwespen.

Pflanzen lehren uns das richtige Timing

Die Flora weiß, wie Teamarbeit funktioniert. Pflanzen lehren uns auch die Kunst des richtigen Timings: Mithilfe ihrer zirkadianen Uhr entfalten Pflanzen ihre Blätter im Frühjahr spät genug, um nicht mehr durch Frost geschädigt zu werden, und früh genug, um optimale Fotosynthese zu betreiben. Genauso präzise wird die optimale Blütezeit ermittelt.

Wie flexibel die Pflanzen dabei sind, zeigen Messungen in Hamburg. Der Blühbeginn der Forsythie ist ein Indikator für den Erstfrühling. Seit 1945 beobachtet der Deutsche Wetterdienst (DWD) deshalb die Forsythien an der Lombardsbrücke, die über die Alster führt. Inzwischen blühen die gelben Büsche hier zwölf Tage früher als noch vor 30 Jahren – die innere Uhr der Pflanzen hat sich auf das veränderte Stadtklima eingestellt. Der Physiker Albert Einstein (1879 – 1955) wird mit den Worten zitiert: „Schauen Sie tief in die Natur, und dann werden Sie alles besser verstehen.“ Wusste er damals schon, wie sehr er damit recht hatte?

Botanische Vornamen

Im Deutschen werden rund 70 Frauennamen verwendet, die auf Blumenbezeichnungen zurückgehen. Häufig wurden sie aus anderen Sprachen entlehnt: Viola (lateinisch, Veilchen), Jasmin (persisch), Dunja (kroatisch, Quitte), Daisy (englisch, Gänseblümchen), Malina (slawisch, Himbeere) oder Jolanda (griechisch, Veilchen). Bei den Männernamen geht es rustikaler zu, dort gibt es vor allem Bezüge zu Bäumen: Oliver (der Ölbaumpflanzer) oder Guido (das Waldkind). „Im Deutschen ist der Anteil an Blumennamen eher gering, im Türkischen etwa gibt es deutlich mehr. Bei uns sind die meisten Namen anders motiviert, die germanisch-altdeutschen eher kämpferisch, die christlichen wurden aus Verehrung und als Schutz gewählt“, sagt Dietlind Kremer, Leiterin der Namenberatungsstelle an der Uni Leipzig.

Buchtipps zum Thema Bionik

Daniel Chamovitz: „Was Pflanzen wissen. Wie sie hören, schmecken und sich erinnern“, Hanser Verlag Stefano Mancuso, Alessandra Viola: „Die Intelligenz der Pflanzen“, Kunstmann Verlag Stefano Mancuso: „Pflanzenrevolution: Wie die Pflanzen unsere Zukunft erfinden“, Kunstmann Verlag Robin Wall Kimmerer: „Geflochtenes Süßgras: Die Weisheit der Pflanzen“, Aufbau Verlag

Durch die Blume gesagt

Etwas sagen, ohne es direkt in Worte zu fassen: die Kunst der Floriografie! Die überreichten Blüten sollen auf diskrete Weise Botschaften und geheime Gefühle an die Beschenkten übermitteln. Einen Höhepunkt hatte die Blumensprache im 18. Jahrhundert in der Türkei. Vom osmanischen Reich fand die florale Kommunikation Verbreitung in ganz Europa. Es entwickelte sich ein umfangreiches Zeichensystem: Sorten, Farben, die Anzahl der Blüten, das Arrangement – alles hatte eine Bedeutung. Eine schöne Idee, diese Kunst jetzt wiederzubeleben.

Von Almut Siegert

von Online-Redaktion