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Buchautorin von „Tosende Stille“ Janice Jakait im Interview

Eine Atlantiküberquerung veränderte ihr Leben

Buch Tosende Stille und Autorin Janice Jakait

Janice Jakait ist die erste Deutsche die mit einem Ruderboot alleine den Atlantik überquerte und darüber ein Buch schrieb mit dem Titel „Tosende Stille“ . Wir haben sie zu ihrem Abenteuer und Buch interviewt.

Wer ist Janice Jakait?

Die heute 35-jährige Janice Jakait ruderte unter dem Motto „Row for silence“ (Rudern für die Stille) im Jahre 2012 alleine mit einem speziell angefertigten Ruderboot über den Atlantik. Verrückt! Verrückt? Ja, wie vieles in dieser Welt, sagt die ehemalige IT-Beraterin, die bereit war, alles aufs Spiel zu setzen für das größte Abenteuer ihres Lebens, sogar ihr eigenes Leben. Wagemut? Wahnsinn? Nein, einfach der sehr, sehr ungewöhnliche Weg einer junger Frau, sich selbst zu finden.

Erfahrungen auf dem Meer haben ihr Leben verändert

Ein Weg von 6500 Kilometern, der in Portimao in Portugal begann, quer über den Atlantik führte und in Barbados 90 Tage später endete – doch eigentlich noch immer andauert, denn die Erfahrungen auf dem Meer haben ihr Leben verändert. Darüber schreibt sie nicht nur mitreißend in ihrem 2014 erschienenen Buch „Tosende Stille“, sondern davon erzählt sie auch hier in unserem Interview. Zugleich machte sie mit großem Erfolg auf etwas aufmerksam, was wir Menschen auf dem Land oder selbst auf dem Wasser nie zu hören bekommen: den Lärm im Meer!

Frau Jakait, die Frage, die wahrscheinlich alle stellen und die doch gestellt werden muss: Wie kamen Sie auf diese außergewöhnliche Idee?

Janice Jakait: Das erste Mal wurde ich Ende der 1990er Jahre mit diesem Thema  konfrontiert. Ich las Berichte über Tori McClure (Anm. d. Red.: Victoria Murden McClure war die erste Frau und erste Amerikanerin, die 1999 alleine mit einem Ruderboot den Atlantik überquerte). Obwohl sie beim ersten Versuch gescheitert und gerade noch mit dem Leben davon gekommen war, startete sie einen zweiten Versuch, den Atlantik zu überqueren –und das erfolgreich. Ich war begeistert und beeindruckt. Irgendetwas musste da draußen zu finden sein, dass es wert war, dieses Risiko einzugehen, dachte ich. Mich hat das dann nicht mehr losgelassen. Ein anderer Aspekt ist ein sehr persönlicher: Ich habe mich einfach nicht glücklich gefühlt in meinem Leben und etwas gesucht, das mir vielleicht Glück und Sinn im Leben wiederbringt.

Wer ihr Buch liest, wird mit einer schonungslosen Offenheit konfrontiert, Sie lassen den Leser an all ihren Aufs und Abs teilhaben – und die fanden, trotz größtem Wellengang ja vor allem in Ihnen selbst statt.

Es gab in meinem Leben irgendwann das Gefühl, nichts mehr verlieren zu können. Ich hatte Depressionen, fühlte mich in meinem Alltagstrott sehr unwohl und dachte mir: Das kann doch nicht alles sein. Ich war von meinem Naturell ein totaler „Kopftyp“ d. h. ich versuchte alles gedanklich zu kontrollieren. Etwas, das auch sehr dem Wesen unserer gesamten westlichen Lebensart entspricht. Wir versichern uns gegen alles mögliche, haben ständig Angst vor der Zukunft, versuchen alles unter Kontrolle zu bringen und möglichst wenig Risiken im Leben einzugehen. Nun, ein Leben in Freiheit sieht natürlich anders aus. Mir wurde mehr und mehr klar, wenn ich mich nicht meinen größten und tiefsten Ängsten stelle, werde ich mein ganzes Leben gefangen sein. Das heißt nicht, dass man, um sich seinen Ängsten zu stellen, den Ozean alleine mit einem Ruderboot überqueren muss. Aber für mich war es so.

Über Ihre Erlebnisse und Erfahrungen auf dem Meer haben Sie in Ihrem Buch „Tosende Stille“ mitreißend geschrieben, was war für Sie die wichtigste Erfahrung auf hoher See?

Es war tatsächlich für mich eine riesige Herausforderung, alleine mit dem Ruderboot 90 Tage auf dem Meer zu sein. Obwohl ich mir alles möglich vorgestellt hatte, das Erleben war noch mal ganz anders – und es holte wirklich alles hervor, was ich an Ängsten in mir hatte. Die Todesgefahr war ja schließlich real. Wenn der Kopf sehr aktiv ist, wie es bei mir der Fall war, dann malt er sich ständig aus, was alles an schlimmen Dingen passieren könnte – und da gab es ja wirklich eine ganze Menge: Ob Haie, Schiffskollisionen, Blitzeinschläge, turmhohe Wellen und ständig neue unvorhersehbare Gefahren. Dazu die körperlichen Strapazen: vollkommene Übermüdung und Erschöpfung, jeden Tag bis 12 Stunden rudern, manchmal kaum Schlaf, Sonnenbrand, Schmerzen im ganzen Körper, entzündete Haut und Muskeln, Seekrankheit, Durchfall und, und, und... Irgendwann hatte ich auch keine Zigaretten mehr. Für eine Nikotinabhängige wie mich, ist das kein Spaß. Es kam also sehr, sehr viel zusammen, viele horrormäßige Situationen, die mich an meine absoluten Grenzen brachten. Dazu mein Kopf, der nicht aufhören wollte, mir zu erzählen, das alles noch schlimmer werden könnte, als es manchmal eh schon war. Auf Dauer kann einen das wirklich verrückt machen, wenn man es nicht schon vorher geworden ist. Irgendwann gab es jedoch einen Moment, wieder inmitten eines heftigen Unwetters, mit meterhohen Wellen und Blitzeinschlägen, wo ich das Gefühl hatte, in akuter Lebensgefahr zu schweben – was wohl auch so war, zumindest fühlte es sich so an – da geschah etwas Neues, vielleicht auch aus körperlicher und psychischer Erschöpfung, da sagte ich mir: Okay soll das Meer jetzt entscheiden, ob ich weiterlebe oder nicht. In diesem Moment geschah etwas ganz und gar Erstaunliches: Es wurde still in mir. In diesem Moment brach vielleicht mein Weltbild zusammen oder aber der Glaube, die Dinge irgendwie kontrollieren zu können. Ich begriff, wahrscheinlich erst viel später, dass ich in diesem Moment wirklich „losgelassen“ habe. Offensichtlich brauchte ich diese Grenzwerterfahrung, um etwas zu begreifen, etwas, das man nicht unbedingt in Worte fassen kann. Vielleicht zu begreifen, was für ein großartiges Wunder dieses Leben eigentlich ist. Das Meer hat mir tiefe Demut beigebracht.

Nach Ihren Erfahrungen auf dem Meer hat es immerhin noch zwei Jahre gedauert, bis sie ihr Buch geschrieben haben. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Nun die Erfahrungen auf dem Meer waren das Eine, das Andere war, diese nochmal zu verarbeiten und wirklich zu verinnerlichen. Es klingt zwar etwas unglaublich, aber die zwei Jahre danach waren für mich zum Teil fast noch härter, als auf dem Meer zu sein. Ich zog mich sehr zurück, war viel in der Natur, meditierte und durchlebte noch einmal sehr intensive innere Prozesse... und ja, dann schrieb ich schließlich mein Buch, das 2014 herauskam.

Sie haben also gefunden, wonach Sie gesucht haben? Ihr Leben hat sich tatsächlich sehr verändert?

Ja. Ich drücke es heute gern mit den Worten einer Freundin so aus: Das zweite Leben beginnt, wenn man begreift, das man nur eines hat! Ich mache heute einen Unterschied zwischen dem rein gedanklichen Verstehen und echtem Begreifen, das auf einer anderen, tieferen Ebene stattfindet. Begreifen kann man nur durch echte Erfahrung, dadurch, dass man sich auf ein Wagnis einlässt, ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, was das Leben ja letztlich auch ist. Manchmal muss man hinter sich abbrechen und den Sprung wagen. Ich habe begriffen, dass man nicht wirklich planen kann, man kann nur Entscheidungen treffen und einen Weg gehen. Was dann geschieht, habe ich nicht unter Kontrolle. Ich habe begriffen, dass die Freiheit hinter der Angst liegt. Ich bin heute wirklich sehr glücklich. Ich lebe im Jetzt. Ich fühle mich im Fluss. Ich wollte immer Autorin werden und habe jetzt ein Buch geschrieben, das es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat. Ich wollte immer vor Menschen sprechen und heute werde ich sogar von Unternehmen eingeladen, toure durch Schulen und darf über meine Erfahrungen sprechen. Dort spreche ich auch von Demut und davon, dass der Konsum kein Ersatz ist für das wirkliche Leben. Nur wer in der Oberflächlichkeit hängen bleibt, braucht stetigen Konsum. Wer aber einmal in Gänze die Tiefe des Augenblicks, das Wunder des Moments erfahren hat, für den wird das völlig uninteressant. Dabei geht es mir nicht um Extreme, sondern darum, einen guten Mittelweg zu finden. Ich glaube, wer all das einmal wirklich begriffen hat, der wird auch ganz von alleine aufhören, diesen wunderschönen Planet zu zerstören.

In Ihrem Buch stehen vor allem Ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen im Fokus. Bei Ihrer Atlantiküberquerung gab es aber auch ein großes Anliegen: Auf den Unterwasserlärm im Meer aufmerksam zu machen!

Ja. Als ich die Überquerung vorbereitete, kam irgendwann die Organisation OceanCare auf mich zu. Wir haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden. Zuerst war die Idee, auf die immense Plastikverschmutzung im Meer aufmerksam zu machen, doch dann fanden wir, dass das Thema „Unterwasserlärm“ viel besser passte. So wurde ich Botschafterin für die Kampagne Silent Oceans und es entstand das Motto „Row for silence (Rudern für die Stille). Mit meiner Aktion konnte ich in vielen Medien auf dieses Thema, von dem die meisten ja noch nicht mal etwas wissen, in der Öffentlichkeit aufmerksam machen. Das Meer und dieses Thema liegen mir weiterhin sehr am Herzen. Hier hat sich ebenfalls etwas verändert: Früher wollte ich immer die ganze Welt retten, heute glaube ich – um es mal zugespitzt zu formulieren: Hätten wir weniger Lärm in unseren Köpfen, sähe auch die Welt anders aus. Würden wir mehr Demut empfinden, im Alltag, im Miteinander, dann würden wir von ganz alleine eine andere Lebensweise wählen, materielle Dinge wären uns einfach nicht mehr so wichtig. Heute wollen viele Menschen im ganz Großen die Welt retten und übersehen dabei, dass sie oft nicht mal sich selbst oder die Menschen ihrer unmittelbaren Umgebung retten können.

Mehr über Unterwasslärm erfahren Sie im folgenden Video:

Was planen Sie für die Zukunft Frau Jakait?

Ich plane nicht mehr oder nur sehr wenig, wie Lesungen und Vorträge. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Lebe von Tag zu Tag, so gut es geht, im Hier und Jetzt. Ich hätte früher nie gedacht, dass das möglich ist. Ist es aber. Das Leben kann wirklich wie ein Fluss sein.

Mit Janice Jakait sprach Reinhold Jordan, Textstudio Hofbieber, Rhön.

Janice Jakait auf Lesereise in Fulda

Am Donnerstag den 18. Juni 2015 wird Janice Jakait im Fuldaer Kulturkeller sein, mit einer Lesung aus ihrem Buch und einem Vortrag über ihre Atlantiküberquerung.
Veranstalter ist der Buchladen Uhlenspigel.
Einlass: 19:30 Uhr
Beginn: 20:00 Uhr
Eintritt: 8,00 Euro
Infos und Anmeldungen unter: 0661- 21686

Janice Jakait auf Lesereise im Juni 2015:

  • Stuttgart Ev. Kirchentag Open-Air , Vortrag , DE , 04.06.2015 , Karlsplatz, Näheres folgt
  • Hochheim am Main Eulenspiegel Buchhhandlung , Vortrag , DE , 02.06.2015 , Link 20:00

Weitere Infos von Janice Jakait – auch über die Lesereise 2015 – auf ihrer Internetseite.

von Online-Redaktion