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Lasst uns Luftschlösser bauen

Kinder pflanzen Bäume
Bei der Initiative Plant for the Planet helfen bereits über 88.000 Kinder, Bäume zu pflanzen| Foto: Plant for the Planet

Unsere Träume und Utopien sind keine nutzlosen Gedankenspiele – sondern Samenkörner für eine bessere Zukunft.

Träume, Sehnsüchte, Fantastereien, Utopien – was unsere von Algorithmen und Optimierungswahn entzauberte Gesellschaft gern als nutzlos abtut, ist in Wahrheit ihr wichtigstes Potenzial: der Treibstoff für großartige Erfindungen, das Samenkorn einer besseren Zukunft.

Eine saubere, intakte Natur, ein friedliches Zusammenleben aller Menschen, gerechte Verteilung der Ressourcen: Würden wir nicht davon träumen, käme überhaupt nichts in Gang. Die Welt braucht also Traumtänzer. Menschen, die Luftschlösser bauen, die sich nicht um Machbarkeit scheren, die Schmähungen ignorieren und auch nach Fehlschlägen optimistisch bleiben – denn das sind oft diejenigen, die wirklich wichtige Entwicklungen in Gang setzen. „Rund 5000 rohe und grobe Ideen braucht es, damit eine einzige zur Reife kommt“, sagt der Lüneburger Psychologieprofessor Michael Frese, der sich intensiv mit Fehlermanagement beschäftigt. „Das Beste ist also, man lernt Unvollkommenheit zu ertragen, ja sogar zu nutzen.“

Rund 5000 rohe und grobe Ideen braucht es, damit eine einzige zur Reife kommt

Wir stellen fünf solcher Menschen vor. Aus deren Luftschloss schon etwas geworden ist. Ideen, die bereits erkennen lassen, dass sie ein Potenzial haben, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und das Beste: Bei vieren der fünf Träume kann jeder von uns ganz einfach mitmachen!

Sein Traum: Billige Brillen für alle

Felix Finkbeiner

Wälder sind unsere grüne Lunge, überlebenswichtig. Ein junger Mann aus Oberbayern will gegen Rodung und Brände anpflanzen.

Mit neun Jahren pflanzte Felix Finkbeiner, Schüler aus Uffing am Staffelsee, seinen ersten Baum und rief die Initiative „Plant-for-the-Planet“ ins Leben. 2011, vier Jahre später, sprach er vor den Vereinten Nationen und stellte seine Kampagne vor, die „Trillion Tree Campaign“, ein weltweites Wiederaufforstungsprogramm.

Weil Bäume das Treibhausgas CO₂ binden, können sie dazu beitragen, die Klimakrise zu bremsen. 1000 Milliarden sollen weltweit bis 2030 gepflanzt werden, so Finkbeiners Vision. Mit Pflanzaktionen an Schulen haben „Plant-for-the-Planet“-Akademien weltweit inzwischen mehr als 88.000 Kinder und Jugendliche in 74 Ländern zu Botschaftern ausgebildet. Die Bewegung hat auch viele prominente Unterstützer. Hinter ihr steht eine Stiftung, die Felix’ Vater, der Unternehmer Frithjof Finkbeiner, gegründet hat. Die Website und eine App zeigen, wie viele Bäume bereits von Unternehmen, Organisationen und Privatleuten gepflanzt wurden: 13,64 Milliarden waren es bei Redaktionsschluss.

Im vergangenen Jahr geriet „Plant-for-the-Planet“ in die Kritik, weil auf dem „Weltbaumzähler“ zeitweilig falsche Zahlen erschienen. Unbestritten ist jedoch: Die Kampagne mobilisiert für den Umweltschutz, bildet Bewusstsein und schafft Arbeitsplätze. Bei einer Pressekonferenz auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar sagte selbst US-Präsident Donald Trump zu, dass sich sein Land daran beteiligen werde. „Ich hätte niemals damit gerechnet, dass meine Initiative solche Kreise zieht“, sagt Felix Finkbeiner. plant-for-the-planet.org

Sein Traum: Essen aus Licht und Luft

Professor Pasi Vainikka

Es klingt wie ein Witz, aber tatsächlich entwickelt ein finnisches Unternehmen ein CO₂-neutrales Proteinpulver aus Licht und Luft, das Teil unserer Ernährung werden könnte.

Es sieht aus wie Weizenmehl, schmeckt auch so – und enthält doch mehr als 50 Prozent Eiweiß. Das radikal Neue an dem Proteinpulver „Solein®“: Gemacht wird es ganz ohne Anbauflächen, nur aus Bakterien, die unter Zugabe von „dünner Luft“, nämlich CO₂, etwas Wasser, einigen Mineralien und Sonnenenergie fermentieren.

Der ökologische Fingerabdruck? Liegt fast bei null – ganz anders also als Fleisch, eine der Proteinquellen unserer Ernährung. Da Solein alle essenziellen Aminosäuren enthält, könnte es den kompletten Eiweißbedarf eines Menschen decken oder pflanzlichen Drinks, Joghurts, Pasta oder Fleischersatzprodukten beigemischt werden.

Solar Foods

Die bahnbrechende Idee haben Professor Pasi Vainikka und seine Kollegen von „Solar Foods“ aus Finnland zur Produktionsreife gebracht, sie stammt ursprünglich von der US-Raumfahrtbehörde NASA – und bereits aus den 1960er-Jahren, wie Vainikka sagt. Würde Solein als „Novel Food“-Lebensmittel von der EU zugelassen, könnte es Ernährungsprobleme mildern, denn Anbauflächen für pflanzliche Eiweißlieferanten wie Soja sind knapp. Auch wären Konsumenten weniger auf Fleisch- und Milchprodukte angewiesen, ein Plus für den Tierschutz und das Klima. Für 2021 ist die Markteinführung geplant. Setzt sich das künstlich erzeugte Protein durch, haben Pasi Vainikka und sein Team eine Tür zu einem schonenderen Umgang mit den Ressourcen der Erde geöffnet. solarfoods.fi

Ihr Traum: Eine bessere Demokratie!

Claudine Nierth

Mehr Bürgerbeteiligung könnte unsere Gesellschaft gerechter gestalten. Empfehlungen eines Bürgerrats in Irland zum Beispiel bestärkten das Parlament darin, das dortige Abtreibungsrecht zu reformieren. In Deutschland hat im September 2019 erstmals ein Bürgerrat für Demokratie auf Bundesebene getagt. Claudine Nierth (53), Bundesvorstandssprecherin von „Mehr Demokratie!“, hat das mitinitiiert.

Marktplatz: Frau Nierth, wie funktioniert ein Bürgerrat?
Claudine Nierth: Die 160 Teilnehmenden zwischen 16 und 82 Jahren wurden aus den Melderegistern gelost. Sie kamen an einem Wochenende in Leipzig zusammen, bekamen verständlich aufbereitete Sachinfos und diskutierten in moderierten Kleingruppen. Am Ende stimmten sie ab. Ihre 22 Empfehlungen, insbesondere zu mehr direkter Bürgerbeteiligung und besserer Transparenz, wurden an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben.

Marktplatz: Warum brauchen wir Bürgerräte?
Claudine Nierth: Es kommt bei der Meinungsbildung auf direkte Begegnung und Austausch an. Gemeinsam sind wir weiser als der klügste Einzelne. Außerdem haben wir in einer Demokratie ein Recht darauf, nicht nur bei den Wahlen gefragt zu sein

Marktplatz: Seit 30 Jahren setzen Sie sich für mehr direkte Demokratie ein. Woher nehmen Sie die Kraft?
Claudine Nierth: Ich bin überzeugt von dem, was ich tue. Ich gebe nicht auf. Meine Devise: Wenn eine Sache im Kleinen nicht gelingt, mach sie größer! Viele der Beteiligten am Bürgerrat haben am Ende gesagt: „Jetzt interessiere ich mich wieder für Politik.“ Solche Sätze motivieren mich. buergerrat.de

Ihr Traum: Die Welt retten!

Cordula Weimann

Nicht nur die Jugend geht an Freitagen für das Klima auf die Straße. Cordula Weimann (61), Unternehmerin aus Leipzig, gründete „Omas for Future“.

„Als ich im August 2019 ‚Omas for Future‘ gründete, hätte ich mir niemals träumen lassen, dass wir so rasant wachsen: Bereits ein halbes Jahr später waren mehr als 30 Gruppen in ganz Deutschland entstanden. Anscheinend habe ich einen Nerv getroffen.

Ich habe drei Töchter und zwei Enkel. Ich liebe die Natur! Sie ist unsere Lebensgrundlage, und ich wollte ihr eine Stimme geben. Denn je mehr ich mich in die Fakten zum Klimawandel vertiefte, desto mehr wurde mir klar: Mit jedem Tag, den wir weitermachen wie bisher, zerstören wir die Lebensgrundlage unserer Kinder und Enkel. Das will ich ändern. Wir brauchen die Klimawende von unten.

Viele Frauen im Alter von 50 plus melden sich bei mir und sagen: „Endlich habe ich etwas gefunden, wo ich mich engagieren kann.“ Wir geben auf unserer Homepage Tipps, was jede tun kann. Auch ich lebe bewusster. Ich kaufe mir seltener Neues zum Anziehen und verzichte auf Fernreisen. Vor allem aber möchte ich einen Bewusstseinswandel mitgestalten, ein Netz der Liebe spannen. Meine Vision: In zehn Jahren sind die ‚Omas‘ in Hunderten von Ortsgruppen aktiv, die Erderwärmung wird sich bei unter zwei Grad stabilisieren und wir wissen als Gesellschaft wieder, was wirklich zählt – nämlich nicht nur der Konsum. Dann können unsere Kinder und Enkel zuversichtlich in die Zukunft blicken. omasforfuture.de

Sein Traum: Billige Brillen für alle

Martin Aufmuth

950 Millionen Fehlsichtige weltweit können sich keine Brille leisten. Mit Drahtbrillen für einen Dollar will ein Erlanger Lehrer das ändern.

„Seit ich denken kann, habe ich mich empört, dass die Welt so ungerecht ist“, sagt Martin Aufmuth (46). Eines Tages forderte seine Frau ihn auf: „Dann tu doch was!“ Er arbeitete damals als Mathe- und Physiklehrer in Erlangen, heute ist er beurlaubt. Grund dafür ist seine Erfindung: ein 30 x 30 Zentimeter großer Werkzeugkasten, mit dem Menschen in den ärmsten Ländern der Welt Brillengestelle aus Federdraht biegen können. Linsen aus bruch- und kratzfestem Kunststoff lassen sich zum Schluss in das Gestell einklicken. Wer möchte, kann es mit bunten Perlen verzieren.

In der Herstellung kostet die Brille einen Dollar, verkauft wird die einfachste Variante für zwei bis drei lokale Tageslöhne. Über 220.000 Menschen in derzeit acht Ländern können durch Aufmuths Erfindung erstmals klar sehen, endlich einen Job ausüben und so besser für ihre Familien sorgen, Schülerinnen die Tafel lesen.

Das Projekt des bescheiden auftretenden Mannes mit dem grauen Zopf wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, rund 300 Ehrenamtliche engagieren sich dafür. Die Organisation ist inzwischen auch in der Schweiz und in den USA vertreten. Weltweit mehr als 950 Millionen fehlsichtige Menschen bräuchten eine Brille. Ihnen könnte mit Aufmuths Erfindung unkompliziert geholfen werden. Seine Vision: „Ich wünsche mir, dass eines Tages keiner mehr eingeschränkt und in Armut leben muss, nur weil er sich keine Brille leisten kann.“ eindollarbrille.de

Inspirierende Projekte zum Anschauen

  • Die Doku „But Beautiful“ erzählt von acht Menschen, die ganz neue Wege beschritten haben (auch als DVD). Inspirierend. but-beautiful-film.com
  • Doku „Butenland“: Der ehemalige Milchbauer Jan Gerdes und die Tierschutzaktivistin Karin Mück haben mit ihrem Projekt Hof Butenland einen fast schon utopischen Ort geschaffen für ein friedliches Miteinander von Mensch und Tier. Sehr anrührend. butenland-film.de
  • Es fängt immer klein und vor der eigenen Tür an: Der Film „Das Wunder von Mals“ erzählt, wie 2015 ein Südtiroler Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet und den Einsatz von Pestiziden verbietet. Begeisternd. goodmovies.de

Spannende Projekte zum Lesen

  • Das Journal „Meine Reise nach Utopia“ lädt ein, sich auf den Weg zu machen. Animierend. oekom.de
  • In „Utopien für Realisten“ animiert Rutger Bregmann dazu, das Unmögliche zu denken. Toll! rowohlt.de
  • Bestsellerautor Alexander von Schönburg beschreibt in „Der grüne Hedonist“ sehr wahr seinen Versuch, klimaneutral zu leben. Lustig! piper.de
  • Die Streitschrift für den wahrscheinlich wichtigsten Baustein der Klimarettung: „Die vegane Revolution“. Erhellend. westendverlag.de

John Lennons „Imagine“

Unbedingt und immer wieder: „Imagine“ von John Lennon. Der Song erschien im September 1971 auf dem gleichnamigen Album und beschreibt die Vision einer friedlichen Gesellschaft, frei von Zwängen durch Religion, Besitz oder Nationalismus. „You may say I’m a dreamer, But I’m not the only one“, singt er – und lädt uns zum Mitträumen und Umsetzen ein.

Von  Sabine Henning

von Online-Redaktion