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Das Gelbe vom Ei

Illustration
Illustration: Riikka Laakso

Früher war mehr Gelb, wundert sich unsere Kolumnistin Gabriele Thal. Was nur hat diese fröhliche Farbe vertrieben?

Fahl quält sich die Vorfrühlingssonne durch die niedrigen Hamburger Wolken, als ich mich zu einem Spaziergang aufraffe: einmal um die Außenalster, den Stausee mitten in der Stadt. Vielleicht macht das ja bessere Laune. Und was kommt mir da entgegen? Eine Spaziergestalt ganz in Gelb. Banane der Anorak, Curry die Mütze, Kurkuma die Cordhose, sandgelb die Stiefel. Gibt’s ja nicht! Schon habe ich ein Lächeln im Gesicht. Hach, alles Gute ist doch gelb, denke ich: die Sonne, das Gelbe vom Ei, Narzissen, Quitten, Zitronenfalter …

Früher war mehr Gelb

Eine Dame im quietschgelben „Ostfriesennerz“ und in gelben Gummistiefeln überholt mich. Das war doch meine Standardkleidung als Kind, mit der ich zum Spielen nach draußen geschickt wurde! Überhaupt, früher war mehr Gelb, oder? Pril-Blumen, Sinalco, Bibo. Ein DHL-Elektroauto passiert die Kennedybrücke: Auch mehr Autos waren gelb, nicht nur die der Post. Hatte nicht der Freund meiner Schwester einen Ford Capri in rasantem Daytona-Gelb?

Heute sind die meisten Autos silber. Oder schwarz. Weiß soll dieses Jahr ein Comeback haben, stand in der Zeitung. Na toll.

Telefonzellen waren gelb, bevor die Telekom übernahm und auf vermeintlich sichtbareres Magenta setzte. Und jetzt entgilbt auch noch die Lufthansa ihr hundert Jahre altes Wahrzeichen: Statt im liebevoll „Spiegelei“ genannten gelben Kreis auf dem Leitwerk hebt künftig ein weißer Kranich vor Blau ab. Das neue Design sei das i-Tüpfelchen der Modernisierung, lobte der Konzern sich dafür selbst. Ein Fehler, wenn man mich fragt. Die sollten sich lieber ein Beispiel an Veuve Clicquot nehmen. Der Champagner hat seit 1877 ein orangegelbes Etikett – und die Reimser haben sich diesen speziellen Farbton sogar schützen lassen und bejubeln ihn als das „Licht der Innovation“. Geht doch!

Warum verschwindet Gelb immer mehr?

Eine großartige Farbe also. Aber wieso ist sie aus unserem Alltag weitgehend erschwunden? Bis auf den Bananenmann und die Ostfriesendame ziehen lauter Jacken in neutralen Farben an mir vorbei. Bloß keine Experimente. Wie in den meisten vier Wänden ja auch. Die häufigsten Wohnfarben der Deutschen sind Weiß und Beige. Auf der Kölner Möbelmesse habe ich mal ein wunderschönes gelbes Samtsofa gesehen. Ob er mir den Verkaufsprospekt geben könne, fragte ich den Firmenvertreter. „Leider nein, das ist nur für die Messe, so was Extravagantes geht gar nicht, und am meisten verkauft sich …“ – schon klar: Beige.

Ich geb’s zu, bei mir zu Hause ist auch alles beige. Hab ich vielleicht ein Kindheitstrauma? Damals, in den 1970ern, trug unser Flur psyche­delische gelbe Ornamente. „Let the sunshine in“, sangen die Hippies. Meine Eltern waren zwar keine, aber deren Vorliebe für wilde Muster teilten sie großzügig. Lavalampen, Kunststoffstühle – bei uns sah es aus wie an Bord der Enterprise, Mondlandung und Farbfernsehen sei Dank. Reine, radikale Farben wie Gelb und Orange schienen eine strahlende Zukunft zu verheißen.

Der Cocooning Trend

Eine Zeit lang war mein eigener Flur sogar gelb. Ich hielt das für einen Garant für freundliche Stimmung. Aber irgendwann ging es mir auf die Nerven. Das ist wie mit dem Kollegen, der stets gut gelaunt ist. Am Montag ist das noch ansteckend, am Freitag will man das Dauerlächeln gern ein bisschen würgen. Oder als wenn tagelang die Sonne scheint: Lass mich doch in Ruhe, ich will nicht raus, ich will auf meine Couch, nichts tun! Also Beige. Creme. Nude. Sand. Greige. Offwhite. Sieht ganz so aus, als bräuchte ich, als einer der typisch stressge­beutelten Menschen heute, ein Refugium, das mich sanft in die Arme schließt und mich mit gedämpften Farben vor der irren Außenwelt schützt. Sagen jedenfalls die Trendforscher. Sie nennen es „Cocooning“, was bedeutet: „sich in einen Kokon einspinnen“. Wenn da drin etwas Gelbes vorkommt, dann bestenfalls ganz hell, Vanille oder so.

Als Fashionfarbe ist Gelb sowieso schwierig.

Die Branche versucht immer mal wieder, einen gelben Trend auszurufen. Aber es steht nun
mal nicht vielen. Ich hatte auch mal ein gelbes Kleid. „Hummelchen“ nannte mich mein
Liebster begeistert. Nicht, was ich im Sinn hatte. Nie wieder getragen.

Ein Bauarbeiter in gelber Sicherheitsweste kreuzt meinen Spazierweg und lässt mich an die Gilets jaunes in Frankreich denken, den Protest der „Gelbwesten“, von da ist es zu Präsident Trumps Haaren nicht mehr weit, von seinem Gesicht ganz zu schweigen, bis zu Gelb als
Farbe von Neid und Gier. Ist doch nicht nur eitel Sonnenschein, diese Farbe, denke ich und werde langsam wieder missmutig. Da komme ich an einer Wiese vorbei. Geduckt zwischen den Grashalmen leuchtet etwas Gelbes. Die ersten Krokusse wagen sich ans Licht! Ach, seufze ich versöhnt, alles wird gut…

Portrait Gabriele Thal

Gabriele Thal
Die Historikerin und Journalistin kennt sich aus mit Designfragen: Sie war rund 12 Jahre Ressortleiterin beim Magazin „zuhause wohnen“. Heute arbeitet sie als Autorin und Lektorin, lebt mit ihrem Mann in Hamburg – und träumt davon, einen Roman zu schreiben. Ihr fehlt nur noch die Hauptfigur …

Notiert
Ihnen fällt auch was ein zu Gelb? Das gelbe Notizbuch der Edition Suhrkamp bietet 144 leere weiße Seiten, um darin Gedanken und Beobachtungen zu notieren. suhrkamp.de

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Von Gabriele Thal

von Online-Redaktion