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Von jetzt an wird geschrumpft

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Illustration: Stephanie F. Scholz

Vom ungezügelten Wachstum rund um ihn ist unser Kolumnist Gerhard Matzig überwältigt. Und entschlossen, höchstpersönlich das expandierende Universum zu stoppen.

Alles wächst. Das Universum fliegt förmlich auseinander, es expandiert und wird, hm, sagen wir: immer universeller. Man könnte deshalb meinen, dass es schwer in kosmischer Ordnung ist, wenn der heutige VW Golf 55 Zentimeter länger und 19 Zentimeter breiter ist als sein Ahnherr von 1974. Der Mini von heute ist ja auch nicht mehr der Mini von 1963. Dazwischen liegen 77 Zentimeter in der Länge und 33 Zentimeter in der Breite, weshalb der Mini von damals eigentlich der Maxi von heute ist.

Die Menschen werden auch immer länger und breiter. Ich glaube, im Schnitt hat die Menschheit innerhalb der letzten 40 Jahre pro Jahrzehnt anderthalb Kilo zugelegt. Und wenn man in der U-Bahn in eine Schulklasse gerät, stellt man fest, dass man plötzlich zu den 15-Jährigen aufschauen muss wie früher zu den Mitgliedern eines Basketball-Teams. Einerseits. Anderthalb Kilo Masse in zehn Jahren: Das kommt mir – andererseits – gar nicht so viel vor. Ich zum Beispiel brauche dazu nicht unbedingt ein Jahrzehnt, ich erledige das gern während der nächsten Ostertage. Die man übrigens gut auf jenen gigantischen Sofas verbringen kann, die Landschaften allmählich ähnlicher sind als Möbelstücken. Man sollte sie daher auch nicht länger „Klippan“ oder „Ektorp“ nennen, sondern zum Beispiel „Niederbayern“ oder „Ruhrgebiet“.

Es wächst der weltweite Müllberg. Es wächst der weltweite Schuldenberg, auf derzeit irgendwas um 220 Billionen Dollar (eingerechnet: mein Immobiliendarlehen). Alles wächst. Die Zahl die Tattoo-Läden in den Städten, der Katzenbilder im Internet – und die Tweets von Donald Trump werden auch immer irrer. Die Häuser werden höher. Irgendjemand sollte sich diesem Wahnsinn in den Weg stellen. Jemand muss das Universum stoppen. Okay, bin ich das halt. Einer muss es ja machen.

Sofas sind jetzt so gross, dass man sie „Niederbayern“ nennen sollte statt „Klippan“

Ich schrumpfe nämlich. Zumindest, was die Höhe angeht. Neuesten Messungen zufolge bin ich einhundertzweiundachtzig Zentimeter groß, also ziemlich genau 827,98 Meter kleiner als das derzeit höchste Bauwerk der Welt, der Burj Khalifa in Dubai. Ich weiß übrigens genau, dass ich in meiner Jugend 1,84 Meter über Normalnull lag. Das steht so auch im Pass. Das ist amtlich. Und jetzt das: schon zwei Zentimeter kleiner. Wenn das so weitergeht, kann ich mir ausrechnen, bis wann ich unter dem Sofa stehen kann oder in das Golf-Handschuhfach passe. Auf den Katzenbildern im Internet bin ich dann wahlweise die Maus oder das Wollknäuel, und im Tattoo-Laden wird man mich mit der Begründung abweisen, man arbeite nun mal nicht in der Nanotechnologie.

Angeblich werden die Menschen ab 40 immer kleiner, wegen der Bandscheiben, die dann nicht mehr so elastisch sind. Ich bin jetzt 54 Jahre alt, ein Schrumpfmensch, dem seine Kinder über den Kopf wachsen. Und eigentlich ist das sogar ein verdammt gutes Gefühl. Ich denke: Die Grenzen des Wachstums sind endlich erreicht, Schrumpfen ist das neue Wachsen. Von mir und meinen Bandscheiben kann das Universum nur lernen.

Gerhard Matzig ist Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und mehrfach mit Journalistenpreisen geehrt. Bei Goldmann erschienen von ihm die unterhaltsamen Bücher „Nettelbeck und Familie“ und „Meine Frau will einen Garten“ sowie die besorgte Betrachtung „Einfach nur dagegen – Wie wir unseren Kindern die Zukunft verbauen“. Gerhard Matzig hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in München.

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Von Gerhard Matzig

von Online-Redaktion