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Glückshormone im Sonderangebot

Frau mit langen Haaren auf Treppe mit Kaffeebecher in der Hand
Freie Journalistin Yvonne Vávra | Foto: Schwarzkopf und Schwarzkopf

Meine smarte Tasse

Ich besitze eine Tasse, die meinen Tee aufs Grad genau in der richtigen Temperatur hält und in der Angelegenheit in engem Austausch mit meinem Telefon steht. Ich muss diesem nur mitteilen, wie warm ich’s gern hätte, den Rest regelt die Tasse. Sie wacht von allein auf, wenn ich sie benutzen will, weiß, wie lange mein Tee ziehen soll, und sorgt dafür, dass es unten auf dem Bechergrund genauso heiß zugeht wie oben am Rand — super technologischer Kniff, irgendwas mit Molekülen. Meine Tasse ist so smart. Ich kann sie nicht leiden. Dass ich sie zu meinen Besitztümern zähle, ist das Ergebnis eines schönen Tags, als ich unter den ersten Sonnenstrahlen des Jahres herumlief und mir ganz fröhlich zumute war. Plötzlich lag ich im Gras, gönnte mir ein bisschen Instagram, der Algorithmus spülte mir die blöde Tasse in den Feed, und schwupp war’s passiert.

Emotionen sind zentraler Antrieb für Kaufentscheidung

So einen ungewohnt unbekümmerten Moment kann man doch gern noch einmal verlängern durch lustvolles Shoppen, oder? Kaufen, ohne zu brauchen, findet ohne kognitive Steuerung statt, ohne Verstand. Laut neurowissenschaftlichen Studien sind unsere Emotionen der zentrale Antrieb für fast alle Kaufentscheidungen. Wir stellen uns vor, wie viel besser unser Leben mit einer smarten Tasse wäre, und diese Erwartung guter Gefühle stimuliert das Belohnungszentrum im Gehirn und setzt das Glückshormon Dopamin frei, das wir durch diese bestimmte Sache vielleicht für immer festhalten könnten.

Aufgrund dieser Hoffnung kaufen wir die Sonnenbrille, die in unserem Gesicht so gut aussieht wie neben all den anderen in der Schublade. Oder ein Handtuch spezifisch zum Trocknen von frisch gebadeten Hunden. So eins habe ich neulich erstanden. Ich hab mich ganz warmherzig und liebevoll dabei gefühlt, meinem Hund was Gutes zu tun. Wobei dem natürlich wurst ist, mit welchem meiner 20 Handtücher ich ihn abtrockne. Ich muss sagen: Der Pudel auf der Packung sah dankbarer aus.

Einkaufen längt von negativen Gefühlen ab

Besonders anfällig sind wir für emotionsbedingtes Einkaufen, wenn uns unser gegenwärtiges Gefühl nicht passt. Studien zeigen, dass sich Menschen in negativen Gemütszuständen mit Spontankäufen emotionale Erleichterung verschaffen wollen.

Sind wir frustriert, gestresst, traurig oder gelangweilt oder nagen schon den ganzen Tag an einem Problem herum, dann ist es verlockend, sich ein bisschen Glück einfach zu kaufen. Dann ist diese Hose da im Schaufenster, deren einzigartiger Schwarzton das fehlende Puzzlestück zur Lösung all unserer Stylingprobleme zu sein scheint, ein sofortiger Muntermacher. Also Portemonnaie auf, Hose einsacken und feinstes Dopamin genießen. So lange, bis sich das Hormon aus der Blutbahn verflüchtigt hat und auf den Rausch der Gefühle der emotionale Kater folgt. Denn auch eine perfekte schwarze Hose hat keine Ahnung, wie sich eine Gefühlswelt nachhaltig umkrempeln lässt.

Der Wunsch, unangenehme Gefühle wie Reue zu vermeiden, ist eine weitere starke Motivation für einen Impulskauf, recherchiere ich im Internet. Deshalb schlagen wir zu, wenn wir denken, dass es ein Produkt vielleicht nicht lange geben wird (Limited Edition!).

Impulskäufe im Urlaub

Besonders im Urlaub passiert es uns leicht, dass wir impulsiv kaufen, weil wir eine unwiderbringliche Gelegenheit beim Schopfe packen wollen. Denn hier kommen wir ja so schnell nicht mehr hin. Außerdem sehen die Läden so schön anders aus – und überhaupt kriegen wir das doch alles zu Hause nicht! Wie den Zehnerpack Bleistifte mit motivierenden Sprüchen in Landessprache. Sie ahnen es: Ja, natürlich habe ich zugeschlagen. Stehen hier vor mir, während ich diese Zeilen schreibe. Sehen toll aus im Gemenge der anderen Bleistifte im Stiftehalter.

Der Kick kommt vom Verlangen, nicht vom Erfüllen

Über meine smarte Tasse könnte ich mich jedes Mal aufregen, wenn ich den Schrank öffne, in dem sie sich mit ihren molekularen Machenschaften breitmacht. Das Tragische ist nämlich, dass wir uns mit Impulskäufen den ganzen Spaß nehmen. Immerhin ist es laut etlichen Studien nicht der Kauf, der uns glücklich macht, sondern der Prozess davor: das Anpeilen, das Wollen, das Fantasieren darüber, wie jenes Etwas unser Leben besser machen wird. Der Kick – er kommt vom Verlangen, nicht vom Erfüllen. Eigentlich wissen wir das doch auch. Oder wie wäre das, nie auf ein Staffelfinale unserer Lieblingsserie warten zu müssen, nie den Kuchen im Ofen zu riechen, bis er endlich fertig ist, oder jemanden nach rechts zu swipen und zu hoffen, er redet auf unserem Sofa nicht nur über Bitcoin. Was wäre das Leben ohne unerfüllte Sehnsucht!

Mein neues Konzept: Ich verlängere einfach die Zeit des süßen Wollens bei meiner nächsten Kauflaune. Warte ab und fühle, wie der Würgegriff des Verlangens langsam nachlässt und mein Verstand zurück in die Arena kommt. So habe ich es neulich bei den High-Tech-Leggings gemacht, die versprachen, meinen Po in perfekter Form zu tragen. Ich habe mich in der Umkleidekabine so lange gedreht und gewendet, bis ich mir schließlich doch sicher war, dass ich meinen Po ganz gut alleine tragen kann.

YVONNE VÁVRA ist in Ostberlin aufgewachsen, wo es eh nicht viel Verführerisches zu kaufen gab. Heute lebt sie in der Wunderwelt unentwegter Verlockungen, New York. Als freie Journalistin schreibt sie vor allem über Menschen und wie diese ihre Gehirne am besten nutzen, um es sich schön zu machen im Leben.

von Online-Redaktion