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Wenn. Möglich. Bitte. Wenden!

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Illustration: Stephanie Wunderlich

Was ist schlimmer: ein vorlautes Navigationssystem oder ein Beifahrer mit Falkplan? Unser Kolumnist Tom Hillenbrand jedenfalls möchte seinen Deutschlandatlas wiederhaben.

Kurz vor Wuppertal erwog ich, meinem Beifahrer Paul einen Kreuzschlüssel über den Schädel zu dreschen. „Jetzt weiß ich, wo wir raus­ müssen“, sagte er und blätterte unbeholfen in der Karte, „echt jetzt.“ Das hatte Paul schon vor anderthalb Stunden behauptet. Seitdem umkreisten wir die Stadt wie ein Jumbo ohne Landeerlaubnis. Ich war mir nicht sicher, ob wir es bis zum Einbruch der Dunkelheit schaffen würden.

Kartenlesende Beifahrer waren schon immer mein persönlicher Albtraum. Es gibt drei Typen menschlicher Navigationssysteme, und keines ist zielführend. Da ist zunächst der Verstockte: Er weiß, wo er ist und wo es hingeht – gibt diese Information aber nur preis, wenn man sie alle 20 Meter abfragt.

Nicht viel besser ist der Straßenausrufer. Er verfügt, was seinen tatsächlichen Aufenthaltsort angeht, bestenfalls über vage Ahnungen. Der Ausrufer kann die Beschriftungen auf der Karte zwar lesen, aus den Informationen aber keine Mental Map konstruieren. Dies versucht er zu überspielen, indem er mit wichtigtuerischer Stimme Anweisungen gibt wie diese: „Einfach an der Schillerzeile in die Gubentwiete abbiegen, bis du in die Friedrich­-Ebert-­Allee wechseln kannst.“ Genauere Richtungsanzeigen vermeidet er. Peinlichst.

Am gefährlichsten jedoch ist der Fuchtler. Wie der Ausrufer verzichtet er auf sinnvolle Kommandos („Zweite links“). Stattdessen ruft er in unregelmäßigen Abständen: „Da lang“, wobei er mit seiner Rechten irgendwo ins Gelände wedelt. Beim Versuch, dieser Handbewegung zu folgen, bin ich schon des Öfteren fast im Graben gelandet.

Kartenlesende Beifahrer waren schon immer mein persönlicher Albtraum

Zum Glück sind diese Zeiten vorbei, es gibt ja Navigationsgeräte. Niemand muss sich heute mehr mit einem Geografie­Legastheniker auf dem Beifahrersitz herumschlagen. Man tippt einfach eine Adresse ein, und das GPS bringt einen hin.
So weit die Theorie. In der Praxis habe ich Navis binnen kurzer Zeit mindestens so innig hassen gelernt wie einen Fuchtler mit Falkplan.

Da ist zunächst die Stimme. Navi­-Männer reden stets im Duktus eines öligen Anlageberaters. Die Frauen klingen wie Marietta Slomka auf Valium. In grauenvollem Stupor leiern sie ihre Ansagen herunter: „Nächste. Ausfahrt. Rechts. Abbiegen.“ Zudem sind Navis entsetzlich dämlich. Zwar kennen sie, anders als menschliche Co­-Piloten, sämtliche A40­Ausfahrten zwischen Lütgendort­mund und Wachtendonk. Dafür fehlt es ihnen an einem grundlegenden Verständnis physikalischer Prinzipien. So ist ihnen beispielsweise unbekannt, dass beim Kontakt zweier Tonnen beschleunigten Blechs mit einem ruhenden Gegenstand eine nicht unerhebliche kinetische Energie freigesetzt wird.

Als ich unlängst mit einem Auto irgendwo bei Bochum im Stau steckte, krähte Navi­ Marietta: „Sofort. Links. Abbiegen.“ Wollte sie uns umbrin­gen? Aber warum? Vermutlich hatte sie ihr Valium nicht genommen. Das Schlimmste daran: Fast hätte ich ihrem Suizidkommando Folge geleistet. Denn sobald ich ein Navi anknipse, schaltet mein Gehirn auf Autopilot. Es scheint erstaunlich vielen Menschen so zu gehen: GPS macht aus voraus­ schauenden Verkehrsteilnehmern grenzdebile Zombiepiloten.

Den Dämlichkeitsrekord hält ein Fernfahrer, den sein GPS von Antalya ins nordenglische Gibraltar leitete. Sein eigentliches Ziel war das 2575 Kilometer entfernte Gibraltar am Rand Spaniens. Nicht einmal, als der Trucker per Fähre den Channel überquerte, dämmerte ihm etwas.

GPS macht aus voraus­schauenden Verkehrsteilnehmern grenzdebile Zombiepiloten.

Neulich benötigte ich eine halbe Stunde, um vom Frankfurter Flughafen zu einem 700 Meter entfernten Airport­ Hotel zu gelangen. Es war bereits stockfinster, und Marietta spielte „Fopp den Fahrer“ mit mir. An einem Kreisverkehr instruierte sie mich, die vierte Ausfahrt zu nehmen. Auf Höhe der zweiten rief sie plötzlich: „Jetzt. Abfahren!“ Mehrfach umrundete ich den Kreisel, den Tränen nahe. Fast hätte ich Marietta gefragt, ob ich etwas von ihrem Valium haben kann.

Das alles klingt schlimm, doch es ist erst der Anfang. Schon bald wird der Verkehrsminister alle Richtungstafeln und Verkehrsschilder wegen der flächendeckenden Verbreitung von Navis für überflüssig erklären und bundesweit abmontieren lassen (wer erinnert sich noch an Telefonzellen?). Dann werden Millionen orientierungsloser Männer, eingelullt von Ambient Lighting und Sitzheizung, in ihren Luxuskarossen über Deutschlands Straßen schlingern – allesamt Sklaven einer seelenlosen Frauenstimme, die sie von A nach B kommandiert.

Nur die Männer, wohlgemerkt. Sie haben keine andere Wahl. Die weiblichen Autofahrer hingegen werden von diesem schlimmen Schicksal verschont bleiben. Sie können nämlich etwas, das Männer nicht können: anhalten und nach dem Weg fragen.

Portrait Tom Hillenbrand

Der Hamburger Tom Hillenbrand studierte Politik und Wirtschaftsjournalismus und schreibt für die besten Blätter des Landes. Als Autor verfasst er Sachbücher und Romane – und mit großem Vergnügen auch kulinarische Krimis, in denen der Luxemburger Koch Xavier Kieffer ermittelt. Sie sind in mehrere Sprachen übersetzte und prämierte Bestseller („Bittere Schokolade“, kiwi-verlag.de). „Wenn ich gerade nicht schreibe, koche ich oder jage mit Bogen und Schwert Monster durch Dungeons, und zwar auf die althergebrachte Art: mit Papier, Bleistift und Würfeln“, sagt er auf tomhillenbrand.de. Seit 2010 lebt er in München.

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Von Tom Hillenbrand

von Online-Redaktion