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Mord mit Giesskanne

Blonde Frau, die sich auf Hand stützt
Foto: privat

Pflanzensitting? Kinderspiel! Das dachte unsere Autorin, als ihre Nachbarin sie um diese Gefälligkeit bat. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ihre leichtfertige Zusage versehentlich fast zur Grünzeug-Vollkatastrophe geführt hätte.

Das Opfer lag vor mir auf dem Boden, herausgerissen aus dem Leben. Sprich, aus seinem Topf mit Erde, die Wurzeln der toten Yuccapalme als matschiges, stinkendes Gewirr daneben ausgebreitet. Mit leichter Panik erkannte ich, was ich angerichtet hatte: Tod durch Ertrinken. So verquer muss es im Leben einer Wüstenpflanze erst mal laufen. Vielleicht wäre ihr dieses Schicksal erspart geblieben, wenn meine Nachbarin nicht der Illusion aufgesessen wäre, in mir eine vertrauenswürdige Pflanzensitterin erkannt zu haben. Eine, die ihr Grünzeug in ihrer Abwesenheit im Griff hätte. Und nun saß ich dort, in einem fremden Wohnzimmer, mit einer Yuccaleiche zu Füßen und, irgendwie passend, jeder Menge Trauermücken, die wie hämische Beerdigungsgäste vor meiner Nase tanzten.

Was kann schon groß passieren, hatte ich gedacht, als meine Nachbarin mich um den Gefallen bat, während ihrer vierwöchigen Neuseelandreise auf ihren Zimmerdschungel aufzupassen. Ich hatte schon Kinder, Hunde und Katzen durch diverse Höhen und Tiefen des Lebens gebracht – Pflanzen schienen da die leichteste Übung zu sein: Weder bekommen sie mitten in der Nacht Fieber, noch brauchen sie Auslauf oder intellektuelle Beschäftigung. Und Wasser auf Erde gießen? Kann ich.

Vom tatsächlichen Ausmaß der Pflanzenliebe meiner Nachbarin bekam ich erst eine Ahnung, als sie mich zur Einsatzbesprechung durch ihre Wohnung führte. Monstera, Alocasia, Philodendron – ich kam mir vor wie in einem Botanikseminar, versuchte jedoch, durch eifriges Nicken Verständnis vorzutäuschen. Dass mir die Yucca zum Verhängnis werden sollte, hatte ich da allerdings noch nicht geahnt.

Augenblicklich genervt war ich eher von den Kirschtomatenkeimlingen, die ihre Blättchen auf dem Fensterbrett in der Sonne räkelten. „Sorry, das wird jetzt etwas kompliziert“, kündigte meine Nachbarin an: Tomatenkeimlinge bräuchten es tagsüber muckelig warm und hell, nachts aber bitte deutlich kühler, sonst würden sie vor sich hinkümmern. Was bedeutete, dass ich sie abends in den kühlen Keller würde tragen müssen und morgens zurück an ihren Platz an der Sonne. „Zumutung!“, platzte es fast aus mir heraus, aber schließlich hatte die Nachbarin in der Vorwoche vier Pakete vom DHL-Mann für uns angenommen, also biss ich mir auf die Zunge.

Während der täglichen zwei Ausflüge in die Nachbarwohnung in den folgenden Wochen füllte ich die kleine Zimmergießkanne unzählige Male, gönnte jedem Gewächs einen kräftigen Schluck und lernte allmählich eine wichtige Lektion: Dass Pflanzen vor allem Licht und Wasser brauchen, um glücklich zu sein, ist nicht korrekt. Denn unter meiner Aufsicht bekamen sie ein gelbes Blatt nach dem anderen. Also goss ich mehr, nur zur Sicherheit. In den Töpfen entwickelte sich erst unbemerkt, dann kaum zu übersehen eine unverschämte Trauermücken-Population, winzig kleine Fliegen, die jedes Mal hysterisch aufstoben, sobald mein Gießwasser die Erde traf.

In meiner wachsenden Verzweiflung begann ich, mich einschlägigen YouTube-Plantfluencern zuzuwenden, die mich mit Videobegrüßungen wie „Hallo, liebe Planties!“ offensichtlich nicht meinten. Dabei wurde klar, dass ich den größten Anfängerfehler begangen hatte – das Grünzeug zu Tode gießen.

Plötzlich machte alles Sinn: die Trauermücken, die sich pudelwohl in dauernasser Erde fühlen; die gelben Blätter, die sich mir wie ein Hilfeschrei des faulenden Wurzelballens entgegenreckten; die Tomatenzöglinge, die keinen Millimeter zu wachsen schienen, obwohl ich den Shuttleservice zwischen Keller und Wohnung so zuverlässig erledigt hatte. Als ich schließlich mit der sterbenden Yucca auf dem Wohnzimmerteppich kniete, war mir klar, dass mir vor der Rückkehr meiner Nachbarin nur eine Möglichkeit blieb: Tatortreinigung.

Ich kaufte drei riesige Säcke Blumenerde im Baumarkt, schleppte rund 15 Töpfe mitsamt Fliegen aus der Nachbarwohnung in unser Badezimmer, befreite die Pflanzen unter der Dusche von der kontaminierten Erde, kappte fauliges Wurzelwerk und pflanzte sie in neues Substrat – zusammen mit einem Körnchen Hoffnung, dass diese gottverdammte Aktion meine Inkompetenz ausreichend kaschieren könne.

Am Ende bin ich trotzdem aufgeflogen. Die Yucca aus dem Baumarkt stach meiner Nachbarin sofort ins Auge, dabei hätte ich schwören können, dass sie ihrer verblichenen Vorgängerin zum Verwechseln ähnlich sah. Statt zwei Stämmchen hatte die neue Palme nämlich drei, ich hatte mich vertan. Und die Nachbarin sich verkalkuliert, als sie mich angeheuert hatte – so gesehen waren wir also quitt.

Der DHL-Mann hat von uns jetzt eine Abstellgenehmigung für den Fahrradschuppen. Und von der Kirschtomatenernte habe ich nichts abbekommen, ich traute mich auch nicht zu fragen, ob es Überlebende gab. Immerhin träume ich nicht mehr von Trauermücken, das ist ja auch schon mal was.

Tina Röhlich

Sie tippt ihre Reportagen oder Kolumnen für Wohn- und Frauenzeitschriften zwar stets mit zehn Fingern, ein grüner Daumen war allerdings noch nie beteiligt. Pflanzen kommen ihr erst ins Haus, wenn sie unkaputtbar sind: hier eine getrocknete Hortensie, da eine Sukkulente, die wochenlang ohne Wasser überlebt. Statt mit Grünzeug umgibt sie sich in ihrer Freizeit ohnehin am liebsten mit Zwei- und Vierbeinern.  ILLUSTRATION Laura Breiling

von Online-Redaktion