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Jetzt mal ehrlich

Illustration
Illustration: Andrea Wan

Soll der Mensch geradeheraus sagen, was er denkt – oder es vorsichtig verpacken? Vielleicht beides, meint unser Autor TIM KROHN, der mit Schaumschlägern, Rüpeln und Handhalten so seine Erfahrungen hat.

Ich bin es gewohnt, zu sagen, was ich denke. Wenn mir ein Essen schmeckt, sagte ich: „Lecker.“ Womöglich
aber auch: „Da fehlt Salz.“ Oder: „Hm, etwas klunschig.“ Das hat es meiner Frau und mir nicht immer leicht gemacht.

In ihrem Umfeld sind alle immer nett zueinander, da dröhnt der Raum vor lauter „Wie schön!“ und „Wie toll!“. Nettigkeit ist nicht die Voraussetzung dieser Freundschaften, sondern ihr Hauptzweck, und alle sind glücklich. Nur mich hat es rasend gemacht, dass in dieser Runde sich alle so schwammig ausdrücken.

Versuchte ich, jemandem eine konkrete Aussage abzuringen, verstrickte die Person sich in immer neue Schaumschlägereien. Auch meine Frau ist darin Meisterin. Mich hingegen betrachten ihre Bekannten als Rüpel, Unflat, konnten nicht begreifen, wie eine so schöne und kluge Frau sich diesen Menschen antut, der permanent provoziert.

Für mich ist Aufrichtigkeit ein Zeichen des Respekts.

Unsere schlimmsten Ehestreite hatten wir, weil meine Frau sich durch mich herab­gesetzt fühlte. „Warum kannst du nicht etwas netter sein, wenigstens solange sie da sind?“, fragte sie. Mich quälte das, denn ich hatte ja nie im Sinn, sie herabzusetzen, im Gegenteil. Für mich ist Aufrichtigkeit ein Zeichen des Respekts, nach dem Motto: Du bist mir zu wichtig, als dass ich dir leichtfertig Honig ums Maul schmiere. Ich sah auch nichts Schlimmes darin, jemandem zu widersprechen. Für mich ist es kein Zeichen von Liebe, immer gleicher Meinung zu sein. Für meine Frau dagegen schon, und nach einem besonders heftigen Streit gingen wir zur Therapeutin.

Händchen halten schafft Nähe

Die war gut. Sie erklärte: „Manche Menschen brauchen Klarheit, andere brauchen Harmonie. Für gut neunzig Prozent ist Kommunikation ein Mittel, sich Geborgenheit zu verschaffen, es kommt ihnen sehr darauf an, wie etwas gesagt wird. Die übrigen zehn Prozent wollen verstehen, suchen den Diskurs, wollen in ihrem Denken wachsen und andere wachsen lassen, darum ecken sie ständig an. Sie beide, Herr und Frau Krohn, werden sich hierin wohl nie finden. Doch denken Sie nächstes Mal daran, dass Sie füreinander nur das Beste wollen: Frau Krohns Schwammigkeit ist eine Einladung, in jedem Punkt den Konsens zu ermöglichen, Herrn Krohns Akribie der Versuch, Differenzen so auf den Punkt zu bringen, dass vielleicht nicht Nähe entsteht, dafür Ruhe. Die Ruhe zweier Himmelskörper, die gelassen, in wohlbemessener Entfernung, umei­nander kreisen.“

Wir waren beeindruckt, aber auch etwas ratlos. „Ja, aber was tue ich, um mehr Harmonie zu bekommen?“, fragte meine Frau. „Bitten Sie Ihren Mann, Ihre Hand zu halten“, schlug die Therapeutin vor, „vielleicht brauchen Sie gar nicht geistige Nähe, sondern körperliche.“ Und ich wollte wissen: „Und wenn sie sich wieder in irgendwelche irrationalen Behauptungen versteigt? Mit ihrem Gerede entzieht sie sich mir völlig.“ „Bitten Sie ebenfalls, dass sie Ihre Hand hält. Glauben Sie mir, Ihre Frau verrennt sich nur so, weil sie Ihnen so gern nahe wäre.“

Nähe schafft Harmonie

Und dieser so simple Rat half! Meine Frau nimmt inzwischen schon vorsorglich meine Hand, wenn ihre Freundinnen kommen. Manchmal ersetzt die Berührung das Gespräch. Und immer öfter ist meine Frau so neugierig auf meine Gedanken, dass sie es ist, die nachhakt, während es mir inzwischen Spaß macht, auch
einfach mal „wunderbar“ zu sagen, ganz ins Leere hinaus. Jetzt finden mich sogar manche ihrer Bekannten nett.

Kolumnist Tim Krohn

Portrait Tim Krohn

In Westfalen geboren, wuchs der Schriftsteller in der Schweiz auf und lebt mit seiner Familie im Val Müstair in Graubünden.

Seine Romane und Theaterstücke sind mehrfach preisgekrönt. Jüngst erschien „Julia Sommer sät aus“ (Galiani Verlag), der vierte Band seines Projekts „Menschliche Regungen“, dessen Geschichten Tim Krohn im Dialog mit seinen Lesern schreibt. Und seine Frau hatte Freude an diesem Essay, sagt er. Ganz ehrlich.

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Von Tim Krohn

von Online-Redaktion