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Bunt fürs Leben

Viele bunte Ahorn Blätter
Unsere Umwelt spricht in vielen Tönen mit uns: Wenn die Blätter sich verfärben, wissen wir, dass wir uns auf kühlere Tage einstellen müssen | Foto: Getty Images

Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie Ihr Alltag aussähe, wenn es keine Farben gäbe? Eben: ganz schön grau und trist. Was sich die Natur dabei gedacht hat, uns so viel buntes Augenfutter zu liefern.

Es werde Licht! Mit diesem Satz beginnt die Geschichte unserer Welt. Aber wann wurde sie eigentlich bunt? Andrew Parker, Evolutionsbiologe an der Universität von Oxford, sagt: „Mit dem ersten Augenaufschlag eines Lebewesens.“ Und meint mit Augen Sinnesorgane, die nicht mehr nur hell und dunkel voneinander unterscheiden konnten, sondern „ein Bild auf der Netzhaut erzeugten“. Davor habe sich die Natur vor allem in Grün- und Brauntönen gezeigt.

Farben und ihre Funktionen

Wozu ein Farbenfeuerwerk veranstalten, wenn es keiner sieht? Das ist lange her, viele Hundert Millionen Jahre. Seitdem hat Farbe die unterschiedlichsten Funktionen übernommen. Sie warnt, schützt und lockt. Der grellbunte Pfeilgiftfrosch etwa fällt seinen Feinden zwar auf, wird aber genau deshalb auch von ihnen gemieden. Sie haben gelernt: Bunt bekommt ihnen nicht.

Eine ähnliche Aufgabe erfüllen die Muster von Schmetterlingsflügeln, die den Tieren zudem dabei helfen, festzustellen, ob sie sich neben einem Männchen oder einem Weibchen befinden. Und die Anzahl der grün-violetten Augenflecken im Gefieder des Pfaus wiederum signalisiert, ob er ein guter Vater ist: Je spektakulärer die flirrenden Federn, desto besser sein Erbgut.

„Farben bilden das größte Kommunikationssystem der Erde“, erklärt der Wahrnehmungspsychologe Axel Buether von der Bergischen Universität Wuppertal. Das gilt auch für uns Menschen – und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen. Farben ordnen Systeme, sorgen für Orientierung und kennzeichnen Hierarchien. Außerdem machen sie auf Gefahren aufmerksam oder zeigen an, wann welche Frucht reif ist.

Viele bunte Dahlien Blumen

Zwei Millionen Farbnuancen

Rund zwei Millionen Farbnuancen kann der Mensch unterscheiden. Sie entstehen durch Licht, das sich in unterschiedlich langen Wellen ausbreitet. Zu bunt wird es uns tatsächlich selten. Selbst unsere Urlaubsziele suchen wir nach dem blausten Himmel, der grünsten Almwiesen und den rötesten Sonnenuntergängen aus.

Von der neuen Lust, mehr Farbe ins Leben zu bringen, erzählt das Revival der britischen Künstlergruppe Bloomsbury um Vanessa Bell, die Schwester von Schriftstellerin Virginia Woolf. Die Mitglieder bemalten nicht nur jede Zimmerwand und jedes Möbelstück mit bunten Punkten, Streifen, Vögeln und Blumen, sondern lebten auch in Zweier-, Dreier- oder Viererbeziehungen.

Farben und ihre gestalterische Funktion

Längst assoziieren wir Farbvielfalt mit Diversität, mit einem offenen Geist, der jenseits von Grenzen denkt, mit Menschen, die sich trauen, sozusagen über den Rand hinaus zu malen. Aber natürlich ist auch die gestalterische Funktion von Farbe ein wichtiger Grund dafür, dass sie in unserer Inneneinrichtung eine so wichtige Rolle spielt.

Zeigt etwa ein Zimmer Richtung Norden, ist es dunkler als eins mit Südausrichtung und sollte deshalb lieber in warmen statt in kühlen Tönen gestrichen werden. Niedrige Decken wiederum wirken höher, wenn man sie in einer helleren Farbe als die Wände gestaltet, und schmale Zimmer quadratischer, wenn man für die kurzen Seiten dunklere Töne als für die langen wählt.

Farben können uns also täuschen. Sehen zum Beispiel zwei blaue Rechtecke auf einem gelben Grund gleich aus, können sie vor einem ähnlich blauen Hintergrund unterschiedlich hell wirken. Genau dieses Talent für Manipulation macht Farbe zu unseren liebsten Jokern im Leben. Zum Blumenstrauß im grauen Alltag. Zum Frühling im Herbst.

Menschen jenseits der 65, die heute viel fitter sind als vor 20 Jahren, tragen alles, aber kein Rentnerbeige mehr. Und die Buchstaben des Google-Logos ähneln in ihrer Farbvielfalt wohl nicht von ungefähr dem Schriftzug des Spielzeugherstellers Toys“R“Us. Bunt gleich jung und vital.

Mädchen vor bunter Wand mit Farben

Farben in der Ernährungswissenschaft

Auch in der Ernährungswissenschaft setzt man auf Farbvielfalt. Nein, nicht auf Gummibärchen oder Smarties, sondern auf naturbelassenes Obst und Gemüse. Wer zusätzlich zu roten Äpfeln zu gelben Aprikosen, blauen Beeren und grünen Trauben greift, nimmt mehr unterschiedliche Vitamine, Mineralien, Spurenelemente und Enzyme zu sich, ernährt sich ausgewogener und deshalb gesünder, sagt etwa die Ernährungswissenschaftlerin Eva Derndorfer.

In ihrem Buch „Farben essen: Heute koch ich Rot-Gelb-Grün“ erklärt sie anschaulich, wozu natürliche Farbstoffe wie zum Beispiel Alpha- und Beta-Carotine dienen, die unter anderem in Karotten stecken: „Sie sind sekundäre Pflanzenstoffe, die ein Gemüse gelb und orange färben. In der Nahrung sind sie gut für unser Herz-Kreislauf-System und unsere Laune. Man holt sich die Sonne in die Küche. Gelb wirkt stimmungsaufhellend.“

Zauberwürfel auf buntem Hintergrund

Farben und ihre Psychologische Wirkung

Ein weiteres Beispiel für den psychologischen Effekt von Farbe ist das sogenannte Cool Down Pink. Damit sind in den USA zahlreiche Gefängniszellen von Gewalttäterinnen und Gewalttätern und die Umkleideräume der jeweils gegnerischen Footballmannschaft gestrichen, damit sich das Aggressionslevel der Menschen senkt.

Wie wichtig Farben für uns sind, erklärt sich daraus, dass wir 80 Prozent aller Informationen, die unser Gehirn aufnimmt, visuell verarbeiten. Oder wie C. G. Jung, der Begründer der analytischen Psychologie, es formulierte: Farben sind die Muttersprache des Unbewussten.

Karsten Homann, Autor des Buchs „Wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, streich sie einfach himmelblau!“ und Experte für Motivation mit Licht und Farbe, behauptet sogar, weiße Räume seien Körperverletzung. Warum? „Weil unser Gehirn weiße Wände nicht von Nebel unterscheiden kann.“ Und im Nebel, das hätten wir im Laufe der Evolution gelernt, lauere Gefahr. Als Folge entstünden im Stammhirn, dem ältesten Teil unseres Gehirns, Angstgefühle. Strategisches und konzentriertes Arbeiten? „Schwierig“, sagt Homann. „Selbst wenn unser Bewusstsein – also die zwei Prozent bewusstes Denken, die wir in uns tragen – entschieden hat, das alles gut ist, powert das Unterbewusstsein mit 98 Prozent dagegen und schreit: Achtung, Nebel, Säbelzahntiger!“

Pfau mit bunten Federn

Wirkung von Farben

Wahrnehmungspsychologe Axel Buether bezeichnet Farben als atmosphärischen Umweltfaktor: „Sie können uns müde, lustlos und krank machen, aber auch wach, aktiv und gesund.“ 2017 führte er eine Studie am Helios-Universitätsklinikum in Wuppertal durch, in der die Räume der Intensivstation in hellen Pastell- sowie erdigen Tönen gestrichen wurden. Behandlungszimmer und Pausenräume sehen nun ganz unterschiedlich aus, was das Pflegepersonal als sehr positiv wahrnimmt, da es jetzt während der Pause zumindest farblich nicht mehr an die Eingriffe erinnert wird, die es wenige Minuten vorher durchgeführt hat.

Tatsächlich gab es nach der Renovierung 27 Prozent weniger Krankheitstage beim Personal. Aber auch Patientinnen und Patienten brauchten weniger Medikamente – insbesondere der Verbrauch von Neuroleptika sank um ganze 30 Prozent.

Generell gilt: Je bunter unsere Umgebung, desto fröhlicher stimmt sie uns. Und auch der Umkehrschluss scheint zu stimmen: Je depressiver ein Mensch, desto mehr nimmt seine Farbwahrnehmung ab. So wie die Sonne die Farben mitnimmt, wenn sie untergeht. Aber zum Glück bringt sie sie am nächsten Tag wieder zurück.

Nuancen schmecken lernen mit Köchin Tanja Grandits

Ihre Gerichte sehen aus wie gemalt: Jeder Gang in Grandits’ Basler Restaurant „Stucki“ hat eine andere Farbe, serviert auf einem passenden Teller. „Nie würde ich Rot mit Grün oder Gelb zusammenmischen“, sagt die 1970 geborene Schwäbin.

Natürlich stünden Farben für bestimmte Geschmäcker. Rot etwa für scharf, Grün für grasig-frisch und Gelb für sauer. Aber diese Kategorien spielen bei ihr keine Rolle. Theorie mag sie nur in der Praxis. Oder wie Tanja Grandits es ausdrückt: „Ich arbeite mit Herz und Hand.“ Vielleicht auch der Grund, warum sie ihr Chemiestudium nach zwei Semestern abbrach.

Für Essen hat sie sich schon immer interessiert. Sie besuchte ein ernährungswissenschaftliches Gymnasium, jobbte während des Studiums in der Gastronomie und lernte ihr Handwerk bei Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach. Sie ging nach London und nach Südfrankreich, um dann ihr erstes eigenes Restaurant zu eröffnen.

2006 wurde Grandits zur Köchin des Jahres gewählt – 2014 und 2020 schon wieder. Seit 14 Jahren ist sie nun Chefin des „Stucki“ und bietet dort Sterneküche in den schönsten Nuancen der Natur. Ihr Lieblingston: „Rosa, schon immer!“

Farbrausch in einer neuen Dimension

„Am grünen Tag treffen wir uns gegen gelb“: Das könnte der Eintrag im Terminkalender eines Synästheten sein, der Buchstaben und Zahlen als Farben wahrnimmt. Psychologin Marie Luise Schreiter von der Universität Tübingen erklärt das faszinierende Phänomen.

Frau mit weißer Bluse

Was genau ist Synasthesie?
Wichtig ist, festzustellen, dass sie keine Krankheit ist, die mit psychosomatischen Symptomen einhergeht, sondern eine Normvariante der Wahrnehmung. Zwei Sinne sind miteinander verbunden, die normalerweise getrennt voneinander funktionieren.

Es heisst, jedes Baby habe Synäthesie
Zumindest können Babys ihre Sinne noch nicht separieren, das geschieht erst später. Für die These spricht außerdem, dass Synästhesie vererbbar ist. Allerdings nicht die Art der Synästhesie. Nimmt der Großvater zum Beispiel Formen als Farben wahr, kann seine Enkelin vielleicht Geräusche schmecken.

Würden Sie das genauer erklären?
Man unterscheidet 80 Arten der Synästhesie. Die häufigste ist das Wahrnehmen von Buchstaben, Zahlen, Wochentagen und Gegenständen als Farben. Aber es gibt auch Menschen, die beim Musikhören Kugeln sehen, die sich im Rhythmus der Melodie bewegen. Andere wiederum haben beim Klang eines bestimmten Namens ein Zitrusaroma auf der Zunge.

Ist es nicht verwirrend, wenn man zum Beispiel ein rotes Stoppschild aufgrund seiner achteckigen Form zusätzlich als blau wahrnimmt?
Nein, Synästhetinnen und Synästheten klagen nicht über Verwirrung. Sie beschreiben ihre sogenannte Zweitwahrnehmung als Bild, das sie vor ihrem inneren Auge haben, oder als Farbe, die sich über ein Wort legt.

Sie können also zwischen Erst- und Zweitwahrnehmung klar unterscheiden?
Ja, so wie wir zwischen einer Tasse, die auf dem Tisch steht, und einer, die daneben auf einem Bildschirm zu sehen ist. Wir wissen genau, aus welcher wir trinken können und aus welcher nicht.

Hat denn etwa der Montag für synästhetisch Wahrnehmende immer dieselbe Farbe?
Die Farbwahrnehmung ist je Person individuell, aber unveränderlich. Das heißt, nimmt jemand den Montag als rot war, bleibt er rot.

Aber eine allgemeingültige Farbensprache kann man aus der Synästhesie nicht ableiten?
Nein. Doch es gibt Präferenzen. Bei einer Studie mit 300 Testpersonen nahmen die meisten den Buchstaben A rot wahr, P und Q lila, E, F und G grünlich.

Was zeichnet diese Menschen noch aus?
Dass sie ein besonders gutes Erinnerungsvermögen haben. Ein Erlebnis, bei dem mehrere Sinne involviert sind, bleibt einfach besser im Gedächtnis als eine Erfahrung, die man nur mit einem Sinn macht.

Viele Künstlerinnen und Künstler waren oder sind Synästheten. Etwa Franz Liszt oder Wassily Kandinsky, auch Lady Gaga und Chris Martin. Warum ist das so?
Es stimmt, dass man synästhetisch Wahrnehmende oft in kreativen Berufen findet. Ihre Vorstellungskraft ist stark ausgebildet, weil der visuelle Cortex ständig beschäftigt ist. Außerdem können sie viel mehr Farbnuancen erkennen als andere.

Was können wir von ihnen lernen?
Dass für jeden von uns die Welt anders aussieht. 

Von Verena Richter

von Online-Redaktion