Lebenszufriedenheit steigern

Dankbarkeit, die kleine Schwester der Demut

Dieses Jahr war nicht ohne: Wir erkannten, was wir alles verlieren könnten – aber spürten auch mehr denn je, was wirklich zählt im Leben.

Zettel mit einem Kussabdruck
Ein guter Grund für kleine Liebesbotschaften: Wer anderen seine Wertschätzung zeigt, steigert nachweislich sein eigenes Wohlbefinden | Foto: Stocksy

Dankbarkeit ist ein schönes Gefühl

Was ist das? Ein Brief? Für mich? Er kommt von einer guten Freundin. Was sie wohl schreibt? Den Brieföffner in die Hand nehmen. Den Umschlag öffnen mit einem kleinen Ruck. Die Karte entnehmen und lesen. Da stehen zwei kurze Sätze: „Hab heut an Dich gedacht. Und gemerkt, wie schön es ist, dass es Dich gibt.“ 15 Wörter nur. Und schon ist es da: dieses Gefühl, das auf einmal durch unseren Körper flutet. Es fühlt sich so warm an. Wie ein Feuer im Schwedenofen, wenn draußen die Schneeflocken vor der Straßenlaterne treiben. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke! Von ganzem Herzen. Echt. Danke!

„Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“ Francis Bacon, Philosoph

An kleinen Aufmerksamkeiten – zu Weihnachten oder anlassfrei – können wir sehen, wie die Dankbarkeit in die Welt kommt. Wir empfangen etwas von anderen, das einen Wert für uns besitzt. Genau das erkennen wir an, sobald wir dankbar sind: Dass uns etwas Gutes widerfahren ist. Wir haben es nicht selbst gemacht und können eigentlich gar nichts dafür. Passiert ist es trotzdem. Was für ein Wunder!

Mehr noch: Dankbarkeit hat fast immer eine Richtung, eine Adresse. Wir fühlen sie gegenüber anderen Menschen, zu treuen Tieren, zur Natur, zum Universum – oder zu Gott, wenn wir gläubig sind. Gute Momente bewusst festhalten Nicht immer ist ein Dankeschön in Worte gekleidet. So wie in der fast märchenhaften Anekdote um George Clooney. Bevor er zum Hollywoodstar wurde, hangelte er sich viele Jahre schlecht bezahlt von Serie zu Serie und schlief bei Freunden auf dem Sofa. 2013 bedankte er sich dafür bei 14 Freunden mit einem Abendessen bei sich zu Hause. Doch mit dem Essen allein war es nicht getan: Jedem Kumpel überreichte er einen Koffer, gefüllt mit einer Million US-Dollar. Erst vor Kurzem bestätigte Clooney die Geschichte, die bis dato nur als Gerücht kursiert war. Die so generös Beschenkten hätten ihm „über einen Zeitraum von 35 Jahren auf die eine oder andere Weise geholfen“, erklärte Clooney. „Ich dachte, ohne sie hätte ich nichts von all dem.“

Studie zu einem Dankbarkeitstagebuch

Kann es sein, dass dankbare Menschen wie er einfach mehr vom Leben haben? Mehr Zufriedenheit und Freude? Dass sie nicht die grauen Wolken sehen, sondern die Sonne, die hinter den Wolken weiter scheint? Klingt kitschig, klar. Und trotzdem scheint etwas dran zu sein. Schon vor rund 20 Jahren haben Psychologen das herausgefunden. Sie haben Personen gefragt, ob sie nicht mal ein Dankbarkeitstagebuch schreiben wollen. Einfach so. Am Abend setzt man sich hin, schlägt sein Heftchen auf, nimmt den Kugelschreiber zur Hand. Und erinnert sich an seinen Tag. Wofür war man heute dankbar? Welche fünf Erlebnisse kommen einem da in den Sinn? Und siehe da: Fünf Dinge fallen jedem ein. Selbst an den miesesten Tagen.

Frau schreibt in ein Notizbuch
„Heute lief alles gut“: Dankbar sind wir vor allem dann, wenn wir einmal so richtig Angst um etwas Wichtiges hatten. Eine der besten Methoden, um dieses demu?tige Gefu?hl zu stärken, ist laut Studien das tägliche Schreiben in ein Dankbarkeitstagebuch | Foto: Stocksy

Man notiert die Momente in kurzen Sätzen. Ruft sie sich noch einmal in Erinnerung. Und so macht man das für eine, zwei oder drei Wochen. Später haben die Psychologen dann nachgesehen: Wie geht’s den Tagebuchschreibern eigentlich? Wie zufrieden sind sie mit ihrem Leben? Und siehe da: Es geht ihnen tatsächlich besser als vor der Dankbarkeitsübung. Und auch besser als der „Kontrollgruppe“ – also Menschen, die kein Dankbarkeitstagebuch führen.

Dankbarkeits-Studie wurde mehrmals wiederholt

Natürlich sind die Psychologen misstrauisch geworden. Kann doch eigentlich nicht sein, dass so ein bisschen Dankbarkeit wirklich glücklich macht. Also hat man den Versuch wiederholt. Diesmal mit anderen Teilnehmern. Man hat das Experiment sogar ziemlich oft wiederholt. Und manchmal hat man dabei die Bedingungen verschärft. Was passiert zum Beispiel, wenn man ein halbes Jahr später noch mal guckt? Tja, sechs Monate später sind die Tagebuchleute meist immer noch glücklicher. Selbst dann, wenn sie die Übung nur eine Woche lang gemacht und danach damit aufgehört haben.

„Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens.“ Jean-Baptiste Massillon, Theologe

Wir lernen früh, danke zu sagen

Man könnte jetzt protestieren und sagen: Moment mal! Dankbarkeit – das haben wir doch als Kind schon gelernt. Und zwar an der Fleischtheke. Die Verkäuferin hat uns eine Wurstscheibe in die Hand gedrückt. Die Eltern haben gefragt: „Wie sagt man?“ Und wir haben brav die Augen niedergeschlagen. „Danke!“, haben wir gesagt. So haben wir es geübt, das Zauberwort mit den fünf Buchstaben. Was unsere Eltern uns beigebracht haben, war eine Form der Höflichkeit. Wir wussten danach, was sich gehört – und dass ein Mensch, der sich nie bedankt, eigentlich nicht so richtig dazugehört.

Kind umarmt ein Stofftier
Wie heißt das Zauberwort? Jedes Kind lernt fru?h, dass alles besser läuft, wenn es öfter „Danke“ und „Bitte“ sagt | Foto: Stocksy

Wir erfahren das heute noch manchmal: nämlich, wenn wir ins Ausland fahren. Okay, angeblich soll es ja ein paar ferne Sprachen geben, in denen das Wort „Danke“ im Alltag keine Rolle spielt. Doch ein „Merci“ lernt man mit als Erstes, wenn’s nach Frankreich geht. Wer traut sich nach Spanien, ohne ein „Gracias“ sprechen zu können? Und sollte uns das Wort mal entfallen, dann holen wir uns die Antwort halt aus dem Internet. Das geschieht offenbar häufig. Allein die Suchanfrage „Wie sagt man Danke auf Englisch“ ergibt auf Google mehr als 28 Millionen Treffer.

Ein Schutzschild gegen Stress

Doch den Psychologen geht es nicht um Höflichkeit. Sondern um das Gefühl dahinter, die pure Emotion. Heute wissen wir aus der Forschung: Die Übung mit dem Dankbarkeitstagebuch bringt uns genau das – und wir haben mehr davon als nur die schlichte Zufriedenheit. Dankbarkeit lässt uns mit Optimismus in die Zukunft sehen. Sie macht uns kreativer und schenkt uns bessere Ideen. Dankbarkeit lässt uns sogar besser schlafen und wirkt wie ein natürlicher Blutdrucksenker, macht uns stabiler gegen Stress. Und klar: Dankbarkeit hilft nicht nur uns selbst. Sie wirkt auch auf unsere Mitmenschen. Krankenhausteams arbeiten nachweislich besser, wenn sich ab und zu eine Patientin oder ein Patient bei ihnen bedankt. Ein einziges Dankeschön verändert eine Menge – denn Dankbarkeit ist ansteckend. Fast wie ein Virus.

Die Pandemie machte uns dankbar

Und darüber muss man an dieser Stelle halt auch mal sprechen: 2021 war für die meisten von uns kein besonders lustiges Jahr. Wir hatten das Hochwasser. Und natürlich Corona. Wir hatten Angst. Waren wütend. Vielleicht auch einsam und traurig. Aber auch da haben die Psychologen genauer hingeguckt und ihr blaues Wunder erlebt: Denn bei ganz vielen Leuten ist noch ein ganz anderes Gefühl plötzlich stärker geworden in der Pandemie. Nämlich die Dankbarkeit. Für all die Menschen, die im Krankenhaus Sonderschichten gefahren haben. Die sich selbst in Gefahr gebracht haben, um die Leben anderer zu retten. Für all die Freiwilligen, die nach dem Hochwasser mit angepackt haben. Die gespendet haben – um den Betroffenen zu zeigen: Ihr seid nicht allein, wir halten zusammen.

Dankbarkeit verbindet uns Menschen

Denn genau das kann die Dankbarkeit: Sie verbindet Einzelpersonen wie durch Zauberhand zu einem starken Wir. Dankbarkeit ist immer Dialog. Wie ein Kuss oder eine Umarmung braucht sie ein Gegenüber. Sie erkennt den anderen in all seinem Wert. Sie ist das Gegenteil von Stolz – eine kleine Schwester der Demut. Und dafür ist genau jetzt die beste Jahreszeit: wenn’s auf Weihnachten zugeht. Warum nicht zwei oder drei kleine Geschenke aussuchen für Leute, die nicht damit rechnen? Und eine kleine Karte dazu: „Danke, dass es Dich gibt!“ Wie viel das Geschenk kostet? Ist vermutlich ganz egal. Denn es geht nicht ums Geld. Es geht um die Geste. Und danach bleibt womöglich noch etwas Zeit, um zurückzublicken. Wofür war ich dankbar in diesem Jahr, so anstrengend es auch war? Wo hat mich das Leben überrascht, weil etwas viel, viel besser lief, als ich mir das vorher ausmalen konnte? Vermutlich trägt uns die Dankbarkeit für all das hinüber ins neue Jahr. In dem wir wieder täglich Dinge erleben, für die wir dankbar sein können.

Viel Regen, treue Kunden und ein Piks, der schützt

Wir fragten Menschen in ganz Deutschland, wofür sie in diesem schwierigen Jahr Dankbarkeit empfunden haben. Fünf Antworten, die berühren:

FRANZISKA DÖRR (29), BIOLANDWIRTIN AUS NEUENTAL-GILSA: „Im Frühjahr hat es bei uns nach drei Jahren Trockenheit endlich wieder einmal ‚normal‘ geregnet. Unsere Kühe hatten dadurch auf der Weide immer genügend Gras zum Fressen und wir konnten genügend Heu für den Winter einlagern.“

LENA BLOTENBERG (26), KRANKENSCHWESTER AUS NEUMÜNSTER: „Ich bin dankbar für meine Kolleginnen im Krankenhaus. Trotz dieser schweren Zeit und der Unruhe in der Politik haben wir zusammengehalten – haben auf der Arbeit gelacht und getanzt. Weil die Situation schon ernst genug war und wir das Beste daraus machen wollten. Und ich bin dankbar, dass meine Hochzeitsplanung so hervorragend geklappt hat.“

GUDRUN KRÜPER (60), BUCHHÄNDLERIN AUS FREUDENSTADT IM SCHWARZWALD: „Als unsere Buchhandlung wieder geöffnet hat, sind die Kunden fast alle zurückgekommen. Die Leute lesen so viel wie lange nicht – und alle meine Mitarbeiterinnen sind gesund geblieben und haben ihren Job behalten. All das macht mich dankbar.“

TUDOR VAN HOENSELAAR (28), KONZEPTIONER AUS HAMBURG: „Für die Stille, die durch die Pandemie entstanden ist, bin ich sehr dankbar. Sie schuf in meinem vollen Kalender mit einem Mal viel Freiraum, um über das Leben nachzudenken. Dies führte bei mir zu einem ruhigeren und bewussteren Lebensstil. So konnte ich viel besser als sonst all die üblichen Ablenkungen unserer Welt herausfiltern und mich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren.“

GINA SCHÖLER (35), „GLÜCKSMINISTERIN“, SPEAKERIN UND AUTORIN, LAUDENBACH AN DER BERGSTRASSE: „Ich bin dankbar für unseren Garten mit Blick auf die Weinberge. Das heimelige Wohlgefühl mit meiner Familie – und die Vorfreude auf all das, was kommt: echte Begegnungen, spontane Gespräche, herzliche Umarmungen. Ich bin dankbar für den zweiten Piks in meinem linken Arm.“

Von Jochen Metzger