Innovative Landwirtschaft - nachhaltig & effizient

Hightech auf dem Acker

Unterwegs zu einer modernen Landwirtschaft, die effizienter und nachhaltiger ist. Es gibt eine Reihe von Start-ups, die Landwirtschaft neu denken. Die Beispiele reichen von Tierfutter auf Insektenbasis über Roboter auf dem Acker bis hin zu KI im Schweinestall.

Start-up Sam-Dimension Stuttgart
Das Stuttgarter Start-up SAM-DIMENSION entwickelte einen innovativen Pflanzenschutz: Vor der Unkrautbekämpfung wird die Fläche mit einer Drohne beflogen. Anschließend werden aus den BildernAnwendungskarten fu?r die Feldspritzen zur präzisen Ausbringung der Unkrautbekämpfungsmittel berechnet. | Foto: Jan Rasch

Auf den ersten Blick mutet es seltsam an, etwas so Banalem wie Unkraut mit geballter Hightech zu Leibe zu rücken. Da es aber sonst die chemische Industrie mit Herbiziden tut, sind neue Ideen höchst willkommen – wie die von Robin Mink und Alexander Linn aus Stuttgart.

Künstliche Intelligenz findet Unkraut

Ihr Start-up „SAM-DIMENSION“ spürt mithilfe von Drohnen und Geostationierung Unkraut in Feldern auf. Künstliche Intelligenz analysiert nach dem Überflug die Daten, so können die Landwirte die Pestizide anschließend präzise ausstreuen.

Durch den gezielten Einsatz werden keine Nutz- und Zierpflanzen vernichtet – und die Landwirte sparen Geld, weil sie weniger Unkrautvernichter kaufen müssen. Für das auf Satellitennavigation basierende Geschäftsmodell erhielten die beiden Erfinder, promovierte Agrarwissenschaftler der Universität Hohenheim, vor Kurzem einen Preis beim Green Space Start-up Summit in Baden-Württemberg.

Moderne Landwirtschaft

Ganz ähnlich operiert das Unternehmen „Paltech“. Das Start-up aus Freising baut Roboter, die zum Beispiel den für Rinder gefährlichen Ampfer aus Feldern und Wiesen entfernen, mit einem ganzen Arsenal von Techniken: Kameradrohnen kartieren die Wiese, ein Computer mit KI-Software berechnet den Weg für den Ausstechroboter. Ein Segen etwa für Bio-Höfe, die Herbizide gar nicht verwenden dürfen.

Hier ist, glaubt man Start-ups und Fachleuten, die Zukunft der Landwirtschaft am Werk – technisiert, effizient, in der Bilanz umweltfreundlich. Seit 2019 fördert die German Agrifood Society, ein Ableger des deutschen Start-up-Verbandes, Ideen, die die Digitalisierung in der Landwirtschaft vorantreiben wollen. Im Sommer 2021 beschloss das Bundeslandwirtschaftsministerium, junge Unternehmen bereits in der Frühfinanzierungsphase zu unterstützen.

Berry der Ernteroboter

Neue Ansätze gibt es in allen Sektoren der Landwirtschaft – ein kleiner Rundblick zeigt faszinierende Ideen. „Berry“ zum Beispiel. Wer den Burschen bei der Arbeit sieht, macht sich schnell Sorgen: Die schönen, empfindlichen Erdbeeren, und da kommt dieser kräftige Greifarm …

Organifarms Ernteroboter Erdbeeren
Der sechsachsiger Ernteroboter „Berry“, ausgestattet mit einer 360-Grad-Kamera, scannt, pflückt, sortiert und verpackt eine Frucht in nur acht Sekunden | Foto: Organifarms

Tatsächlich ergeht es den Früchten besser als beim geübtesten Pflücker: Der Ernteroboter greift den Stängel, schneidet knapp unter der Frucht ab und legt diese berührungslos sanft in den Behälter. Eine intelligente Software hat zuvor den Reifegrad bestimmt und alles auf Schäden gescannt.

Aber warum Erdbeeren? „Gerade Erdbeeren!“, sagt Hannah Brown, Mitgründerin von „Organifarms“. „Wir wollen ja etwas beweisen. Und die Margen sind hoch, Arbeitskraft ist beim Ernten ein großer Kostenfaktor.“ Tomaten und Paprika sind schon in der Entwicklungs-Pipeline. 

Gründerteam Organifarms
Das Team von Organifarms in Konstanz hat sich auf Indoor-Landwirtschaft

spezialisiert. | Foto: Organifarms

Ressourcen und Flächen sparend

„Berry“ und seine kommenden Kumpane sind geschaffen für eine Welt des „indoor farming“, Hightechgewächshäuser, die auch in die Höhe gebaut werden können („vertical farming“). Anbau unter exakt kontrollierten Bedingungen, immun gegen die Folgen des Klimawandels.

Das hat mit romantischen Bildern von Acker- und Gartenbau wenig zu tun, spart aber Ressourcen jeder Art, vor allem Fläche. Dass die nachhaltige und klimaschonende Zukunft der Landwirtschaft sehr technologisch daherkommt, hält Brown für ein Problem der Wahrnehmung: „So idyllisch geht es auf dem Land schon jetzt nicht zu, wenn man genauer hinschaut.“

Sie kehrt diese Sorge sogar ins Positive um: „Wenn wir mit vertical farming Anbauflächen einsparen, können wir genau die renaturieren.“

Indoor Farming: Grün aus dem Hochhaus

Ein Problem der „Farming“-Projekte ist allerdings die Energie. Doch wenn eine Anlage „grünen“ Strom aus erneuerbaren Quellen bezieht, sind die Vorteile schlagend: weniger Wasser, weniger Pestizide, weniger menschliche Arbeitskraft (die immer schwieriger zu bekommen ist).

Und, ganz entscheidend: Die Produkte wachsen in der Nachbarschaft des Konsumierenden und brauchen keinen langen Transport. „INFARM“, gegründet von drei Israelis in Berlin, wird weltweit beachtet und hat es mit kleinen Kräuterfarmen schon in einige Märkte geschafft.

Neue Proteine: Von Insekten bis zum Haferdrink

Kein anderer Aspekt der Agrarumwälzung ist im Supermarktregal schon so klar ablesbar wie dieser: das Ersetzen von Fleisch und Milch durch pflanzliche Produkte. Vegane „Burger“-Bratlinge sind wohl schon im Küchenmainstream angekommen und Haferdrinks auf dem Weg dorthin.

Der aus Schweden stammende Vorreiter „Oatly“ wird seit Sommer 2021 an der Börse gehandelt, es geht aber auch regional und besonders nachhaltig: Das Team von „Havelmi“ aus Brandenburg etwa setzt auf Pfandflaschen und einen nur regionalen Vertrieb. Eine interessante Idee, die Ökobilanz der Tierhaltung zu verbessern, sind Insekten: Als menschliche Nahrung tun sie sich trotz vieler Versuche schwer, als Tierfutter womöglich nicht.

Schwarze Soldatenfliege Nutztierfutter
Von wegen igitt: Als erste deutsche Firma darf die Probenda GmbH in Pfungstadt aus Larven der Schwarzen Soldatenfliege Nutztierfutter herstellen.

Die Probenda GmbH aus Pfungstadt erzeugt Schweine- und Hühnerfutter aus der Schwarzen Soldatenfliege, die sich wiederum von Abfällen der Lebensmittelindustrie ernährt. Auf Maden setzt die Firma „Madebymade“ aus Pegau bei Leipzig (lustige Namen sind wichtig in der Szene): Die Larven fressen Bioabfälle und werden selbst zu proteinreicher Nahrung für Landtiere und Aquafarmen. Zur Nachhaltigkeit des EU-geförderten Projekts trägt bei, dass sich alles in ausrangierten Containern abspielt.

KI für das Tierwohl

Das Thema Tierhaltung, der Umgang mit Nutztieren, rückt zunehmend in den Fokus von Konsumentinnen und Konsumenten. Diverse Ansätze zielen darauf, das Leben in Ställen nicht nur effizienter, sondern auch ethisch vertretbarer zu machen.

Ein leuchtendes Beispiel ist das Münchner Start-up „Omegga“: Dort wurde eine optische Lösung gefunden, das Geschlecht von Hühnerembryonen „in ovo“ zu bestimmen – und zwar vor dem siebten Bruttag, wenn das Empfinden des Hühnerembryos noch nicht entwickelt ist.

Seit diesem Jahr ist das Kükentöten in Deutschland verboten, die Omegga-Technologie bietet eine gesetzeskonforme Alternative. Mit dieser Begründung erhielt das Start-up im Oktober 2021 den Innovationspreis Moderne Landwirtschaft im Bereich „Forschung“. Die Gründung „VetVise“ aus Oldenburg widmet sich mit intelligenten Systemen der Schweine- und Geflügelzucht: Sensoren liefern Daten, um Lüftung, Licht und Temperatur stets optimal zu halten.

Omegga Geschlechtsbestimmung Kücken
Preisgekrönt: Omegga ermöglicht die Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Bruttag – wenn das sensorische Empfinden des Hu?hnerembryos noch nicht entwickelt ist

Wirklich revolutionär sind Kameras, die mittels künstlicher Intelligenz in der Auswertung Krankheiten und Stress im Stall erkennen können. Das Programm „Pig Brother“ erkennt zum Beispiel bei Schweinen die Tendenz zum gefürchteten Schwanzbeißen – der Landwirt kann reagieren, was den Tieren Leid erspart.

Viele Ideen – und doch hinkt Deutschland eher hinterher. Eine Investmentfirma hat errechnet, dass 2020 in den USA etwa 13 Milliarden Dollar in Agrar-Start-ups gesteckt wurden, in Großbritannien etwas über eine Milliarde, hierzulande rund 300 Millionen Dollar. Die „Organifarms“- Gründerin Hannah Brown beunruhigt das nicht: „Unsere Start-ups kommen gerade in Schwung, auch durch öffentliche Förderungen und Preise.“ Warum jetzt? „Weil man die Notwendigkeit sieht, gerade wegen der Klimapolitik. Das ist unsere Stunde!“

Von Raimund Witkop