Kolumnist Günter Kast übers Grillen

Arme Würstchen

Sündteure Stahlgrills und handgecraftete Saucen? Der Hype ums Grillen nervt unseren Kolumnisten Günter Kast gewaltig. Er hat es lieber einfach, spontan und entspannt.

Guenter Kast Kolumnist

Günter Kast ein Grill-Muffel

Männer müssen grillen? Die Neandertaler-Gene zwingen sie dazu? Also: mich nicht! Ich habe die Gemeinschaft der Glutsbrüder verlassen.

Vor nicht allzu langer Zeit wäre dieser Satz untergegangen im Partygemurmel. Heute kommt durch ihn jedes Gespräch ins Stocken: „Wie, du hast was gegen Grillen? Was ist falsch gelaufen in deiner Kindheit?“ Nichts, gar nichts. Letzten Sommer war ich bei Freunden im tiefen Niederbayern eingeladen. Wir tranken Bier, unterhielten uns über Fußball und hauten zwischendurch Schweinenackensteaks auf den wackeligen Dreibeinrost. Dazu gab es Brezen und Kartoffelsalat, so wie immer. Es war lustig, entspannt, easy.

Ein Wochenende später dann: BBQ-Party einer Münchner Social-Media-Agentur. Im Zentrum des Fests standen nicht etwa die Gäste, sondern die neuesten heißen Öfen, die „Ferraris unter den Grills“. Es gab: bei exakt 275 Grad scharf angebratene Steaks medium rare vom Roten Thun, Filets von bei Vollmond geschlachtetem Werdenfelser Bio-Rind mit handgecrafteten Saucen aus Perus Urwäldern.

Man sprach: über digitale Fleischthermometer, Burger-Pressen, Eisenstempel für perfekte Streifen auf dem Steak, Edelstahlkörbe für Fisch. Man verabredete sich für den kommenden Dezember zur „Wintergrillparty mit Johann Lafer am Dachstein“. Die Zeit dazwischen würde man mit TV-Sendungen wie „Grill den Henssler“, „Grillwoche“ und „Die Große Grillshow“ überbrücken.

Ich sprach irgendwann gar nichts mehr. Dabei hätte ich am liebsten laut dazwischengebrüllt: „Riecht! Qualmt! Bläst CO₂ in die Atmosphäre! Ist unkommunikativ, weil einer ständig am Rost Wache halten muss! Und vor allem: Ist KEINE Wissenschaft, die man nach den Vorgaben deut­scher Ingenieurskunst und mit maxima­lem Kapitaleinsatz betreiben muss!“

1,2 Milliarden Euro für Ausrüstung

Wie kam es bloß dazu, dass die Deutschen plötzlich alle zu Grillweltmeistern wurden? 2018 gaben sie 1,2 Milliarden Euro nur für die Ausrüstung aus, gut viermal so viel wie 15 Jahre zuvor. 2009 war ihnen ein Grill noch 30 Euro wert, heute 250. Jeder Vierte tut es sogar im Winter. Grillen scheint der kleinste gemeinsame Nenner einer Gesellschaft zu sein, die sich sonst auf nicht mehr allzu viel einigen kann, es ist angeblich basisdemokratisch, weil vor dem Rost alle gleich sind.

Und Grillen ist jetzt ein Statement: Es steht für das Einfache, Natürliche, Authentische, für die archaische Art der Nahrungszubereitung. Und natürlich für die kleine Flucht aus einer überdigitalisierten Welt. Alles schön und gut. Aber müssen wir immer gleich übertreiben? Mensch, Leute, es geht doch nur darum, ein Stück Fleisch nicht roh essen zu müssen! Haben das plötzlich alle vergessen? Warum der Hype?

Grillen bedeutet Abenteuer und Freiheit

Ich kenne es so, dass Grillen irgendwie für Abenteuer und Freiheit steht. Aber wer Stunden damit zubringt, einen Hightech-Rost vorzuheizen und die richtige Garzeit für nachhaltig gefangenen Fisch zu googeln, ver­passt nicht nur das Spontane und Einfache, sondern leugnet geradezu die Essenz des Grillens. Leider gilt man heute schon als Spielverderber, wenn man Einladungen zum Winter-Barbeque ausschlägt, obwohl es dabei meist nur eines ist: saukalt und ungemütlich.

Was ist toll daran, sich die eisigen Füße in den Bauch zu stehen und rote Muskelfaserbündel mit Daunenhandschuhen zu greifen? Damit mich keiner missversteht: Ich mag Lagerfeuer im Winter, Biwakieren im Schnee, Bratwürste vom Rost, unter dem die Flamme eines Gas­kochers züngelt. Wenn es die Umstände erfor­dern, ist das Teil des Outdoor-Erlebnisses und mit der richtigen Frau sogar richtig romantisch. Aber einfach so zum Posen? Braucht doch keiner.

Man muss nicht jedem Hype hinterherhecheln

Ergo: Ich habe nichts gegen die glühenden Anhänger verbrannten Fleisches, solange sie mich nicht zwangsmissionieren wollen, aber ich muss nicht jedem Hype hinterherhecheln und auch keine Seminararbeit daraus machen. Denn: Ein richtiger Mann wird man nicht dadurch, dass man Würstchen auf einem Kugelgrill im Reihenhausgarten be­aufsichtigt, sondern indem man rausgeht und echte Abenteuer erlebt, die gefährlicher sind als ein bisschen verbrannte Acrylamid-Kruste. Wer das noch nicht kapiert hat, ist … ein armes Würstchen!

Kolumnist Günter Kast

Günter Kast ist freier Autor und Fotograf. Er lebt in Herrsching am Ammersee – jedenfalls manchmal. Denn seine zahlreichen Reportagereisen führten ihn in rund 90 Länder der Erde. Am liebsten ist er in den Bergen, und immer hat er eine Angel dabei, was ihn zu dem garantiert einzigartigen Buch „Fliegenfischen auf sechs Kontinenten“ befähigte. Zahllose dieser Fische kamen dann übrigens umgehend auf den mitgeführten Grill.

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Von Günter Kast