Lehr Bio Speisepilzkulturen

Im Reich der Sensibelchen

In einem Wald nahe dem hessischen Dorf Freienseen züchtet Mario Lehr Bio-Edelpilze der Spitzenklasse – in den Backsteingewölben eines ehemaligen Eisenbahntunnels.

Mann im Wald mit Pilzen in der Hand
Mario Lehr machte aus dem kleinen Familienbetrieb einen der angesehensten Bio-Edelpilz Produzenten Europas. Kräuterseitlinge, die aussehen wie bizarre Skulpturen, gehören auch dazu | Foto: Jessica Schäfer

Bereits die Anfahrt ist ein kleines Abenteuer. Eine scharfe Kurve und man lässt die Fachwerkhäuser des mittelhessischen Dörfchens Laubach-Freienseen hinter sich. Ein unbefestigter Weg führt durch einen lichten Wald – plötzlich öffnet ein moosbewachsener Tunnel seinen schwarzen Schlund.

Wer eine gute Nase hat, kann einen leicht modrigen Geruch wahrnehmen. Hier, mitten im Vogelsberg, liegt der Eingang ins Reich der Pilze. Mario Lehr ist Herr der Pilze: Pom-Pom blanc, Samthaube, Kräuterseitling, Kastanienseitling, Limonenseitling, Austernpilze, Shii-Take, Weißer und Grauer Buchenpilz, Enoki, Goldkäppchen – pure Pilzpoesie, die Appetit macht.

Die Speisepilzkulturen von Mario Lehr

Die Edelpilze wachsen auf insgesamt 5.000 Quadratmetern in den stillgelegten Gängen eines ehemaligen Eisenbahntunnels. Bereits seit 1987 züchtet Mario Lehr Bio-Edelpilze der Spitzenklasse. „Die Leidenschaft für Pilze hatten schon meine Eltern“, erzählt Lehr, „mein Vater hat mit der Pilzzucht angefangen, zunächst als Hobby, und meine Mutter kreierte immer neue Pilzrezepte.“

Mario Lehr arbeitete zunächst als Kaufmann in der Verpackungsindustrie, stieg dann in die Pilzproduktion ein und machte aus dem kleinen Familienbetrieb einen der angesehensten Bio-Edelpilz-Produzenten in Europa. „Wir liefern ein frisches heimisches Produkt. Der Trend zu gesundem, fleischlosem Genuss kommt uns zugute. Pilze haben viele Ballaststoffe, sind eiweißreich und beispielsweise der aromatische Shii-Take hat einen sehr hohen B12-Gehalt und sogar eine entzündungshemmende Wirkung.“

Verschiedene Pilzsorten auf Baumscheibe
Pom-Pom blanc, Samthaube, Limonenseitling, Austernpilze, Shii-Take, Weißer und Grauer Buchenpilz, Enoki, Goldkäppchen – pure Pilzpoesie, die Appetit macht | Foto: Jessica Schäfer

Lehr ist Bio-Produzent aus Überzeugung, schon im Jahr 2000 stellte er die gesamte Kultivierung auf biologischen Anbau um. Seit 2007 vermarktet er seine Edelpilze unter dem Bioland-Label an Großkunden wie tegut… und anspruchsvolle Gastronomiebetriebe.

Geerntet wird in Handarbeit

Im fahlen Licht von Neonlampen begutachtet Lehr erntereife Kräuterseitlinge. Wie bizarre Skulpturen wachsen sie auf einem Substrat aus Mineralien und Sägespänen. „Komplett chemiefrei, ein Naturprodukt“, darauf ist Lehr stolz. „Die meisten Pilze werden aus Asien importiert und müssen mit Chemikalien bedampft werden, um den langen Weg zu überstehen.“

Hand hält kleine Pilze
Edelpilze wachsen auf einem Substrat aus Mineralien und Sägespänen in Beuteln. Geerntet wird an 365 Tagen im Jahr, zu Spitzenzeiten wie Weihnachten bis zu 1.000 Kilo am Tag | Foto: Jessica Schäfer

Lehrs Pilze dagegen erreichen in der Regel innerhalb von nur einem Tag die tegut… Märkte. Geerntet wird in Handarbeit, das erfordert Geschick und Erfahrung. Bis zu 10 Erntekräfte sind im Einsatz, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. Von Herbst bis Ostern ist Hauptsaison.

Weihnachten: Bis 1.000 Kilo Pilzernte 

Gerade in der Weihnachtszeit ist hier richtig viel los. 800 bis 1.000 Kilo Pilze werden dann geerntet – am Tag! Miriam Riffer-Frank hantiert blitzschnell mit einem kleinen Gemüsemesser. „Ich muss vorsichtig sein, die großen Pilze muss ich so rausschneiden, dass die kleinen nicht beschädigt werden und weiterwachsen können.“

Pilze sind Sensibelchen. In den Backsteingewölben des Tunnels haben sie ideale Bedingungen. Eine konstante Temperatur zwischen 14 und 16 Grad unabhängig von Sommer und Winter. Frischluft wird über Luftschläuche zugeführt, Sprühwasser sorgt für eine hohe Luftfeuchtigkeit. Hinzu kommt ein Team, das über Jahrzehnte hinweg Know-how erworben hat und wie Mario Lehr viel Liebe fürs Produkt mitbringt: „An vieles mussten wir uns langsam herantasten und Rückschläge in Kauf nehmen. Man glaubt es nicht, aber manche Pilzarten wollen zum Beispiel partout nicht mit bestimmten anderen Pilzarten in einem Raum wachsen.“

Kurios auch, dass die Pilze eine „Massage“ einfordern, um überhaupt gut zu wachsen. Jeden einzelnen Block reiben die Mitarbeitenden, rütteln und schütteln. „Dabei wird die Oberflächenstruktur des Myzels zerstört und dadurch das Wachstum des Pilzkörpers, also des Teils, den wir später essen, angeregt. Wir haben mit und ohne Ribbeln getestet, aber die Ertragslage ist mit Massage eindeutig besser.“ Eine Woche verbleibt der Beutel in einem Raum mit niedrigerer Temperatur, eine Simulation kühler Herbstnächte. Dann bringen die Mitarbeitenden die Beutel in die wärmeren Räume zum Wachsen und Gedeihen.

Regale mit vielen Pilzen
Bis die Edelpilze so prächtig aussehen wie die Goldkäppchen, werden sie aufwendig gehegt und gepflegt – von der perfekten Temperatur über regelmäßige Massagen bis zum idealen Raumnachbar | Foto: Jessica Schäfer

Je kühler die Speisepilzkulturen, desto besser die Qualität

Norbert Boldt hat als Produktionsleiter viel getüftelt. „Früher kannte ich nur Champignons“, schmunzelt er. „Wir versuchen, die natürlichen Bedingungen nachzuahmen. Je kühler es ist, desto besser ist die Qualität, aber desto langsamer das Wachstum. Das mussten wir in perfekte Balance zu bringen lernen.“

Die heikelste Phase ist die Geburtsstunde, das sogenannte „Beimpfen“, wenn unter Reinraumbedingungen wie in der Pharmaindustrie das Myzel in das Substrat eingebracht wird. Die Mitarbeitenden arbeiten mit Mundschutz und Handschuhen in Ganzkörperanzügen. Eine Hautschuppe könnte ausreichen, um den ganzen Substratblock zu verunreinigen. Dann würde Schimmelpilz statt Edelpilz wachsen.

Frauen mit Maske an Regal mit Pilzen
Bei der Ernte sind Geschick und Erfahrung gefragt. Beim Herauschneiden der großen Pilze mit einem Gemüsemesser könnten die kleineren sonst schnell beschädigt werden | Foto: Jessica Schäfer

Kistenweise stehen Kräuterseitlinge draußen zum Transport bereit. Festes, makelloses Fleisch, jeder Pilz wie gemalt. „Sie sehen robust aus, aber in der Produktion sind sie äußerst schwierig. Und überraschen mich immer wieder. In Vollmondnächten stellen sie fast ihr Wachstum ein. Und das selbst hier, im Tunnel unter Tage!“, so Mario Lehr. Pilze sind eben ein eigenwilliges Naturprodukt – aber ein überaus köstliches.

Bio-Speisepilze von Lehr bei tegut…

 

Vom Bio-Hof Mario Lehr beziehen wir seit 2013 Kräuterseitlinge, Austern-, Shii-Take-, Buchenpilze und weitere Pilzexoten. Sie werden nach strengen Bioland-Richtlinien angebaut.

Von Sandra Scheuring