Kolumne von Alena Schröder

Sechs Nichtige

Die meisten Leute ärgern sich, dass sie nie im Lotto gewinnen. Unsere Kolumnistin ALENA SCHRÖDER hingegen ist jedes Mal erleichtert, dass ihr allerhand erspart bleibt.

Portrait Alena Schröder
Alena Schröder | Foto: Gerald von Foris

Immer, wenn ich mich selbst daran erinnern will, wie unwichtig Geld für mein Lebensglück ist, spiele ich Lotto. Das ist etwa einmal im Monat der Fall, ich gehe zum Kiosk, kreuze wahllos Zahlen an und verbringe den Rest des Tages damit, mir auszumalen, wie es wohl wäre: unfassbar! Gewonnen! 36 Millionen! Mein Mann und ich sinken uns weinend in die Arme. Wir machen blau, trinken eine Flasche Sekt, versprechen uns lachend, in Zukunft nur noch Champagner zu trinken, und schmieden Pläne. Erst mal einfach so weiterleben wie bisher. Nichts überstürzen. Vielleicht endlich eine Wohnung kaufen. Vielleicht mal einen langen Karibikurlaub machen. Ein neues Auto wäre schön. Und eine satte Spende an „Ärzte ohne Grenzen“ muss natürlich auch sein, überhaupt wollen wir jetzt ganz viel Gutes tun.

Den Lottogewinn verteilen

Wir schwören uns, niemandem, wirklich niemandem von unserem Lottogewinn zu erzählen. Klappt nicht. Bald wissen es unsere Eltern und unsere besten Freunde. Die ihren Job hassen und schon lange davon träumen, sich mit einem kleinen Café selbstständig zu machen. Wir schenken ihnen das Geld. Ist doch toll, wenn man mal richtig großzügig sein kann. Wir sitzen in der neuen Dachgeschosswohnung und überlegen, wer noch dringend Geld bräuchte. Die Flüchtlingshilfe. Das Kinderhospiz. Mein Bruder bekommt einen Teil, damit er sich ganz auf sein Medizinstudium konzentrieren kann. Und sollten wir nicht auch an unsere Kinder denken? Endlich runter von der schlecht ausgestatteten Stadtteilschule, rein in die Privatschule. Hätten wir früher abgelehnt, wegen der sozialen Mischung, aber sollen unsere Kinder wirklich die verfehlte Bildungspolitik dieses Landes ausbaden müssen?

Was ein Lottogewinn verändert

Die Kinder finden an der neuen Schule schnell neue Freunde, deren Eltern dann unsere Freunde werden. Wir haben viel gemeinsam, reden über Anlagemodelle, gute Ski Resorts, Sternerestaurants. Unsere alten Freunde kommen seltener vorbei, wir gehen auch seltener mit ihnen aus. Es nervt, am Ende immer die Rechnung zu bezahlen, aber sich einladen zu lassen oder auf getrennten Rechnungen zu beharren, fühlt sich auch falsch an. Wir verstehen das, dieser plötzliche Reichtum ist eine Zumutung für sie, wir hatten schließlich auch vorher schon alles, was wir brauchen. Die Freunde mit dem kleinen Café haben sich inzwischen getrennt und reden auch nicht mehr mit uns, das Café gibt es nicht mehr.

Ich überdenke meinen Beruf. Ist der wirklich Berufung? Ich will nur noch machen, was mich erfüllt. Aber was könnte das sein? Mein Mann kündigt, haut sich ein paar Wochen auf die Couch und liest ein Buch nach dem anderen, davon hat er schon immer geträumt. Dann will er einen Roman schreiben. Ich sollte vielleicht etwas Ehrenamtliches tun. Mit Kindern aus armen Familien. Aber in Wahrheit mag ich Kinder gar nicht so gern, außer meine eigenen. Und Spaß sollte es ja auch machen. Also fange ich an, Kunst zu sammeln.

Illustration Lottogewinn
Illustration: Sergio Membrillas

Bei der Hochzeit von Cousin L. kommt es zum Eklat, weil unser Geldgeschenk in den Augen der Braut nicht großzügig genug ausfällt. Mein Bruder erzählt, dass er sein Medizinstudium geschmissen hat und mit unserem Geld jetzt groß beim Onlinepoker einsteigt. Die Kinder schreiben schlechtere Noten in der Schule, sie scheinen antriebslos. Hängen nur noch vor ihren Smartphones.

Mein Mann und ich streiten uns jetzt viel. Er kommt mit seinem Roman nicht voran und findet die Kunst unsäglich, die ich anschleppe. Ich finde, er ist viel zu großzügig mit seinem bescheuerten besten Kumpel, dem er ständig Geld schenkt. Er fragt mich, was mich das angehe, und ich erinnere ihn daran, dass es ja MEIN Lottoschein war, der uns diesen Gewinn beschert hat. Mein Mann schreit, er könne nicht länger ertragen, dass wir hier nur noch über Geld reden. Ich knalle die Wohnungstür zu und gehe zur Vernissage eines jungen, gut aussehenden Künstlers.

Die Kinder eröffnen uns, dass sie unsere Streiterei nicht mehr aushalten und ins Internat wollen. Mein Mann findet, es sei vielleicht besser, wenn er sich eine eigene Wohnung zulegt, dann hätte ich mehr Platz für Kunst und er mehr Ruhe für seinen Roman. Nein, seine Personal Trainerin, dank der er in den vergangenen Wochen den Sport wieder für sich entdeckt hat, habe damit rein gar nichts zu tun. Jetzt sitze ich auf meiner Designercouch, trinke allein eine Flasche Champagner aus unserem acht Kubikmeter großen Weinkühlschrank und heule in die Seidensofakissen.

Ende des Tagtraums. Und wenn jetzt wieder die Lottozahlen gezogen werden, schaue ich zufrieden auf meinen Lottoschein und bin dem Schicksal dankbar, dass mir all das einmal mehr erspart bleibt. Wobei, ein neues Auto …

Schon gewusst?
Acht bis zehn hessische Bürger werden durch die Lotterie jährlich zu Millionären. Quelle: faz.net

Alena Schröder

Die Journalistin und Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Berlin. Nach mehreren Sachbüchern und herrlich komischen Werken über das Leben mit Kind (unter dem Pseudonym „Benni-Mama“) erscheint demnächst ihr erster Roman (Ullstein Verlag). Sollte sie wider Erwarten doch mal im Lotto gewinnen, verspricht Alena ein Update dieser Glosse, wo sie den Tagtraum mit der Realität vergleichen wird.

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Von Alena Schröder