Unser Wald: Rohstofflieferant und Erholungsort

Blätter, die die Welt bedeuten

Wald – das ist weit mehr als eine Ansammlung von Bäumen. Er ist Rohstofflieferant, Erholungsort und romantische Sehnsucht. Das kleine Wunder ist: Er wird all diesen Anforderungen gerecht. Wie schafft er das nur?

Nebliger Wald
Foto: Kilian Schönberger/Frederking & Thaler Verlag

Nahe Basdorf in Nordhessen steht ein hübsches Stückchen Wald. Breite Buchen und Eichen, dazwischen viel Raum, auf dem Büsche und kleine Bäume nachwachsen. Suchend blickt Landwirt Friedrich Schäfer in dieses satte Grün. Nach drei, vier Minuten hört er Rascheln und Knacken im Unterholz, dann schiebt sich eine grunzende Gestalt ins Bild: 120 Kilogramm schwer, mit dunklem Kopf und Hintern, dazwischen rosa: eine Schwäbisch-Hällische Sau.

Portrait Friedrich Schaefer
Foto: Kathrin Spirk

Sie schnüffelt, frisst ein paar Blätter, dann schubbert sie sich tatsächlich genüsslich an der Borke einer Eiche. Der Basdorfer „Hutewald“ ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in denen die Menschen das Vieh in die Wälder trieben, damit es sich dort satt fresse. Zwischen den großen „Mastbäumen“ wird so der Wuchs kurzgehalten, es entsteht ein parkähnlicher Wald, erzählt Friedrich Schäfer: „Wie gemalt, oder?“ Er und ein paar weitere Enthusiasten haben 2005 den Hutewald aufleben lassen.

Lokaler Tourismus, Traditionspflege, Artenschutz – dergleichen wurde bei der Gründung angeführt. Doch es geht auch um die Wurst, wenn Friedrich Schäfer ins Schwärmen kommt: „Die Schweine haben ein schönes Leben hier draußen, fressen Eicheln, Bucheckern und viele aromatische Wildkräuter. Unsere Hutewald-Salamis schmecken deshalb unvergleichlich!“

Wald im Herzen

Doch kommt der örtliche Förster vorbei, streift dessen Blick begehrlich über die alten Baumrecken und nicht über die Schweine, erzählt der Landwirt lächelnd. Der eine will den Baum, der andere die Wurst. Mehr noch: „In unserem dicht besiedelten Land steht quasi hinter jedem Baum ein Mensch mit seinem Interesse“, sagt der Göttinger Forstwissenschaftsprofessor Christian Ammer, „einer sucht beschauliche Erholung, der Nächste rast mit dem Mountainbike vorbei. Einer will reinen Naturschutz, der andere gute Jagd.“

Ein Wald verändert sich ständig

Gleichzeitig sind wir ein Volk, das den Wald zutiefst im Herzen trägt. Wir sind da, wenn er im Frühjahr grün explodiert. Wenn er wie jetzt im Herbst die Symphonie der Farben spielt. Wir schicken unsere Sprösslinge in den Waldkindergarten, spazieren am Wochenende im Forst, und schließlich lassen wir unsere Urne im „Friedwald“ zur letzten Ruhe betten. Zum nächsten Wald ist es ja auch nie weit. Auf einem Drittel der Landesfläche wächst er. Die Wirtschaft rund um Forst und Holz beschäftigt mehr als eine Million Menschen, sagt das Landwirtschaftsministerium. Da vergisst man leicht, dass der Wald hierzulande eine Kulturlandschaft ist, die sich beständig verändert. Ab dem frühen Mittelalter zum Beispiel wuchs die Bevölkerung und rodete den bis dahin dichten Tann weiträumig. Holz zum Heizen, Kochen und Bauen wurde eingeschlagen oder für die Herstellung von Holzkohle, Erz und Glas in Massen verfeuert.

Baum
Foto: Zimmermann

Ein Fall für Romantiker

Um 1800 gab es kaum noch geschlossene Wälder. „Geplündert waren sie und übernutzt“, sagt Forstprofessor Ammer. Prompt wuchs die Sehnsucht, priesen Romantiker den Wald als Symbol einer heilen Welt. Städtische Intellektuelle vernarrten sich in Bäume, schrieben Gedichte über „Waldeinsamkeit“, malten die einsame Eiche im Schnee.

Regelrechte Panik schoben die Forstleute des 19. Jahrhunderts, als eine „Holznot“ drohte. Sie begannen schnell wachsende Nadelbäume zu pflanzen wie Spargel: schön preußisch in Reih und Glied. Geerntet wurde in einem Rutsch, nach der Methode „Kahlschlag“. Doch einmal hoch gewachsen, waren die Monokulturen anfällig für Sturmschäden und Borkenkäfer. Und für Luftschadstoffe, die zum „Waldsterben“ führten, das in den 1980er-Jahren Deutschland entsetzte.

Nach und nach setzten Forstbehörden auf nachhaltige Waldwirtschaft und nannten sie „naturnah“. Der deutsche Wald ist bunter und gemischter geworden, das hat die letzte „Bundeswaldinventur“ im Jahr 2012 ergeben, bei der Inventurtrupps rund 420.000 der geschätzten 90 Milliarden Bäume vermaßen. „Wälder sind in unserer Kulturlandschaft die am wenigsten beeinträchtigten Naturräume“, heißt es in der Pressemitteilung, „sie beherbergen einen erheblichen Anteil der heimischen Flora und Fauna.“ Einen kleinen Teil der Waldfläche nutzen deutsche Förster, auf der Restfläche werden im öffentlichen Wald für Specht und Käfer „Habitatbäume“ erhalten.

Wald mit Bergpanorama
In den Bergen bieten Wälder Schutz, sie festigen den Boden und bremsen Lawinen. | Foto: Stocksy

Von der Säge keine Rede

Doch da ist auch ein wenig Doppelmoral im Spiel: Die Deutschen lieben zwar Holzmöbel und Kaminfeuer – der Wald aber soll ewig leben. Von Axt und Säge ist nicht die Rede. Munter schwabuliert es auf der Homepage einer Waldstiftung, dass „moderne Forst- und Waldwirtschaft mit sachkundiger Nutzung und unter der Beachtung der ökologischen Rahmenbedingungen das Ökosystem Wald betreut“. Und es wird noch kuscheliger. Seit dem Erscheinen des Bestsellers „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben darf der Wald als romantische Utopie her- halten: Bäume haben da angeblich Kindergärten, pflegen ihre Alten und versorgen sich gegenseitig mit dem Nötigsten. Der Wald schürt warme Gefühle, als letzte Bastion deutscher Gemeinsamkeit: Junge und Alte lieben ihn, CSU- Freunde wie Grün-Wähler. Was verfügt sonst noch über eine solche Integrationskraft?

Planst du ein jahr, so säe Kor, planst du ein Jahrtausend, so pflanze Bäume

Chinesisches Sprichtwort

Der neueste Wohlfühltrend um Eiche, Buche & Co. ist übrigens das japanische „Shinrinyoku“, zu deutsch „Waldbaden“, ein Bestandteil der japanischen Gesundheitsvorsorge. Wissenschaftler aus Japan haben es belegt: Bäume strömen Terpene aus, die das Immunsystem stärken. Hutewald-Hüter Friedrich Schäfer kennt die wohltuende Wirkung auch, aber mit seinen Sauen als „Badezusatz“: „Ich muss den Tieren nur zuschauen, wie sie so ruhig unter den Bäumen stehen, schnüffeln, herumgrunzen. Dann geht mir das Herz auf.“ Der Wald ist, so scheint’s, ein Multitalent, das von Holz bis Herz alle Anforderungen erfüllt. Einfach, indem er da ist.

Mann auf Fahrrad im Wald
Ein Ausflug in den Wald tut Ko?rper und Seele gut. Japanische Mediziner fanden heraus, dass Blutdruck und Pulsfrequenz sinken, ebenso die Konzentration des Stresshormons Cortisol. Der russische Dichter Fjodor M. Dostojewski brachte es auf den Punkt: „Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum voru?bergehen und nicht beglu?ckt sein kann, dass man ihn sieht?“ | Foto: Stocksy

Wald: Zahlen & Fakten

Voll das Leben Co2

Rund 140 Wirbeltierarten, 6500 Insektenarten und unzählige Kleinstlebewesen leben im Wald. Außerdem 76 Baumarten, 116 Strauch- arten, 1020 krautige Pflanzen, 676 Moos- und 1024 Flechtenarten sowie eine unbestimmte Zahl von Pilzen. 93 Millionen „Habitat- bäume“ und 224 Millionen Kubikmeter Totholz bieten Lebensraum für Tierarten.

CO2

Wald und nachhaltige Holznutzung entlasten die Atmosphäre jährlich um 127 Millionen Tonnen CO2 – fast 14% der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen. Im Jahr erzeugt der Wald in Deutschland 25-38 Millionen Tonnen Sauerstoff.

1/3 des Landes ist von Wald bedeckt

48% unserer Wälder sind in privater Hand, Bund und Länder besitzen ein Drittel der Fläche.

Wasser marsch

Ein Hektar Waldboden kann bis zu drei Millionen Liter Wasser speichern. Über 40% der Fläche deutscher Wasserschutzgebiete befinden sich im Wald. 2,1 Millionen Hektar Wald sind Trinkwasserschutzgebiet.

Wanderwege in Deutschland

Es gibt mehr als 574.000 Kilometer Waldwege in Deutschland.

Den Wald entdecken

Baumhaus
Foto: Ana Santl

Na, dann gute Nacht, Baum!

Urlaub mitten im Baum: Baumhaus-Hotels machen es möglich.

Ein besonders schönes findet sich in Witzenhausen, im Tal der Kirschblüten: Robins Nest heißt es, übernachtet wird zwischen Wildholzmöbeln in den Wipfeln, in sechs bis sieben Metern Höhe. Infos auf: robins-nest.de

Den grünen Tann durchstreifen

Zu Naturerlebnissen und Sinnesempfindungen führt das Freizeithandbuch „Hinaus in den Wald“ mit Tipps für Ausflüge und Aktivitäten, 296 Seiten, Kunth Verlag: kunth-verlag.de

Über allen Wipfeln ist… es schön

Am Südufer des Edersees im Naturpark Kellerwald gelegen, führt der „Tree Top Walk“, auf gut Deutsch Baumkronenweg, seine Besucher ins Dachgeschoss des dortigen herrlichen Buchenwaldes, der zum UNESCO- Weltnaturerbe gehört: baumkronenweg.de Der mit 1,635 km längste Baumwipfelpfad liegt bei Köln, Infos: panarbora.de

Bücher zum Thema Wald

Tagesanbruch im Rothaargebirge: In dem luxuriösen Bildband (Frederking & Thaler, 320 Seiten), aus dem das Foto stammt, gelingt es Kilian Schönberger, die Aura europäischer Wälder in stimmungsvolle Bilder zu verwandeln.

In dem Band (Cocon Verlag, 162 Seiten), aus dem das Foto dieser Seite stammt, nimmt uns der passionierte Naturfotograf Gerhard Zimmermann mit auf faszinierende Streifzüge durch den Wald, inklusive Tipps, Karten und Wegbeschreibungen.

Von Andreas Beerlage