Meine Zeit + deine Zeit = keine Zeit?

Abends auf ein Glas Wein mit der Freundin verabreden – das ist oft das, was einer anstrengenden Woche die Schwere nimmt. Wenn es nur nicht so schwierig wäre, die gemeinsame gute Zeit zu organisieren …

Frau mit braunen langen Haaren und grünem Pullover
Foto: Georg Rohbeck

Die Aussicht war zu gut, um es nicht zu versuchen: 28 Grad im Schatten, kein Wölkchen am Himmel, Sundowner-Wetter. „Hey, Lust auf einen Drink im Biergarten morgen Abend?“, schrieb ich Lisa per WhatsApp – in der Annahme, sich mit 30 Stunden Vorlauf zu verabreden wäre möglich. Etwas blauäugig vielleicht. „Sorry, bin schon seit Wochen fürs Kino verplant“, kam prompt die Antwort. Und der Startschuss für ein schier endloses Hin und Her aus Lass-mich-kurz-meine-Termine-checken-Nachrichten.

Verabreden via WhatsApp? WhatAProblem! Wir fanden einfach keinen Termin in Lisas vollem Kalender.


LISA: Hab noch mal in meinen Timer geschaut: Passt dir auch Freitag?
ICH: Klar!

Moment, nicht dass Jens da was hat, ich guck heute Abend lieber mal in unseren Familienkalender.
Ja, meld dich einfach.
Okay, da steht nichts, kann also gut sein, dass es klappt!
Wie schön!
Jens ist gerade nach Hause gekommen, sorry, er hat vergessen, seinen Dart-Abend einzutragen, geht also doch nicht. Dann vielleicht nächste Woche Mittwoch?
Passt auch. Hast du da denn wirklich Zeit?
Klar! Aber sehe gerade, da soll es regnen. Vielleicht lieber Freitag die Woche drauf?
Perfekt!
Gut, aber lass kurz vorher noch mal schreiben, falls was dazwischenkommt, ja?
Ja, sicher ist sicher.
Oder weißt du was: Wir wäre es, wenn wir Mitte übernächster Woche noch mal schreiben, dann sind wir echt safe!

Mitte übernächster Woche? Ohne in meinen Kalender gucken zu müssen, weiß ich„safe“, dass da gähnende Leere herrscht. Oder, schöner formuliert, viel Platz für spontane Verabredungen. Schließlich ist dieser Freizeit-Freiraum meine bewusste Entscheidung.

Schon als Kind war ich kein Fan monatelanger Planung, die mir die Tage vollpackt. Klavierunterricht, Leichtathletikverein, Schwimmunterricht: alles zu festgezurrt, zu starr, zu weit im Voraus verpflichtend. Was, wenn ich mich an dem Tag lieber mit der Clique im Freibad treffen will? Eben. Und die sah das zum Glück (noch) genauso.

Morgens wurde verabredet, wo es nach den Hausaufgaben hingeht, und falls das mal jemand vergessen hatte, klingelte man eben beim Nachbarskind. Ein voller Terminkalender war etwas für langweilige Bürofuzzis (die wir nie werden wollten), unsere Freizeit maximal flexibel. Wir kamen ganz ohne „Lass später noch mal schreiben, wann und wo genau“ aus. Handys kannten wir allenfalls als futuristische Accessoires aus US-Blockbustern und eine smarte Uhr, mit der man telefonieren kann, besaß nur Michael Knight (und dann ging auch nur sein Auto K.I.T.T. dran).

Doch sich zu wünschen, wieder jung zu sein, ist auch keine Lösung: Selbst meine Tochter spielt längst Termin-Tetris. Versucht, zwischen all den Nachmittagsevents eine passende Lücke zu finden, in die sie sich bei ihren Freundinnen noch quetschen kann. Als es für Klasse 5 das erste, von uns ausrangierte Smartphone gab, dachte ich: Endlich fein raus aus dem kindlichen Dating-Business! Jetzt kann unsere Tochter, in Sachen Spontan-Verabredungen ganz die Mama, diese selbstständig managen. Nur hatte ich die Rechnung ohne den Termindruck anderer Kids gemacht – den manche anscheinend nur mit elterlicher Hilfe bewältigen können.

„Finja hat morgen leider Gitarre und ist auch den Rest der Woche verplant“, poppt wie aufs Stichwort eine WhatsApp-Nachricht bei mir auf. „Aber sie würde gern am Donnerstag in zwei Wochen nach Schulschluss vorbeikommen, wenn es passt?“ Verzweifelter Blick bei meiner Tochter, als ich ihr die Nachricht zeige, Schulterzucken bei mir. Was soll ich machen? Und plötzlich weiß ich es: feste Dates! Ich muss – sorry, geliebte Spontanität – selbst zum Jour fixe meiner Freundinnen werden. Zum Termin, an dem kein Weg mehr vorbeiführt. Das hat schon mal mit einer Kollegin gut geklappt: Eine Zeit lang waren wir jeden ersten Mittwoch im Monat zum Mittagessen verabredet, inklusive Teams-Eintrag im digitalen Kalender. Eine Verbindlichkeit, die wirkte, als wäre sie von der Chefin anberaumt, aber mit deutlich mehr Spaß.

Minuten später haben Lisa, Nina und Stefanie einen Dauerdate-Vorschlag von mir im Postfach. Einmal im Monat um den See spazieren, in unserem Lieblingscafé den Lieblingsapfelstreusel essen, nach Feierabend in Sachen Kultur ausgehen. Und wenn es nicht klappt, weil Kind krank, Mann verabredet, Deadline drückt, wird wenigstens ein Stündchen telefoniert. Deal? „Lisa/Nina/Stefanie hat Ihren Termin akzeptiert“, verrät mir kurz darauf meine Smart-Watch. K.I.T.T., hol mich bloß nicht hier raus!

CHRISTINE RITZENHOFF hat als Chefredakteurin für verschiedene Magazine gearbeitet, will sich ihre Job-Zeit nun wieder flexibel einteilen – als Autorin. Am liebsten hat sie jedoch, na klar, Frei-Zeit. Die verbringt sie gern mit ihrer Familie, Freundinnen und Freunden oder allein mit einem guten Buch. Ist ein Roman richtig gelungen, bloggt sie darüber auch auf Instagram.