Die Schlagworte Landflucht, Leerstand und Überalterung sind eng mit dem ländlichen Raum verbunden. Doch steht es wirklich so schlecht um die Zukunft der ländlichen Regionen? Zukunftsforscher sprechen plötzlich vom leisen Comeback des Dorfes.

Wer wissen will, wie es um den ländlichen Raum in Deutschland bestellt ist, muss die Webseite dorfglück.de besuchen. Sie versteht sich als Forum für Ideen zur Wiederbelebung des Dorfes. Betreiber ist Otmar Weber, 65, aus der saarländischen Gemeinde Ensdorf. Fast sein ganzes Berufsleben hat er dem Thema gewidmet. Erst arbeitete er in der Gemeindeverwaltung, dann zwanzig Jahre bei der „Agentur ländlicher Raum“ des Saarländischen Ministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz. Jahrzehntelang habe es die Politik versäumt, in den Erhalt dünn besiedelter Regionen Geld und Kreativität zu investieren. „Dabei hat der Bürger auf dem Land die gleichen Ansprüche“, sagt Weber. Diese Ungerechtigkeit treibt ihn an.
Glokalisierung
Allerdings deuten Zukunftsforscher gerade einen leisen Trend zum Comeback des Dorfes an. Erstmals seit zwanzig Jahren ziehen mehr Menschen aus den sieben größten deutschen Städten weg, als hinzukommen. „Die Heimat, die Sehnsucht nach regionaler Verbundenheit hat wieder Konjunktur“, sagt Daniel Dettling, Gründer des Thinktanks „re:publik – Institut für Zukunftspolitik“.
Allerdings betrifft er in erster Linie den Speckgürtel der Metropolen. Vor allem um Berlin entstanden neben ÖkoKommunen auch hippe CoWorkingSpaces. Ein alter Gutshof bei Bad Belzig heißt seit 2017 „Coconat“ und ist einer der ersten ländlichen CoWorkingSpaces Deutschlands. Dort treffen sich Teams, Freiberufler und Digitalnomaden zum Arbeiten. Auch den Gemeinden helfen solche kreativen Projekte, denn sie müssen ansonsten baufällige Gebäude meist auf eigene Rechnung abreißen lassen.
Moderne Milchhäuschen
In Bad Karlshafen, 4000 Einwohner Stadt in Nordhessen, sollen andere Maßnahmen zünden. Um Besucher anzulocken, wurde das Hafenbecken im Ortskern mit Fördergeldern saniert. „Ob sich die ländlichen Räume mit solchen Zukunftsprogrammen wieder voranbringen lassen, wird sich unter anderem an Bad Karlshafen zeigen“, schreibt das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung in seiner Studie „Die demografische Lage der Nation“. Gerade Nordhessen gehört zu den westdeutschen Regionen, die am meisten von Abwanderung betroffen sind.
Am wichtigsten seien die Menschen als Motoren für die Wiederbelebung des Dorfes, sagt Otmar Weber. So wie der Geschäftsmann Michael Schramek, der in Jesberg bei Marburg 2016 den Verein „Vorfahrt für Jesberg“ gründete, ein regionales Carsharing Angebot. Inzwischen ist er mit der Idee Regio.Mobil in über 30 Dörfern und Kleinstädten in Nordhessen und Thüringen unterwegs. Gemietet werden können Elektroautos und mit Erdgas betriebene Fahrzeuge. Oder Arielle Kohlschmidt und Jan Hufenbach, die Berlin gegen Klein Priebus in der Oberlausitz eintauschten und heute als „Raumpioniere“ andere Städter beraten, die Natur suchen. Oder Manuela Vollmann und Marion Balzer, die im hessischen 300 Seelen Dorf Eifa eine Bank als Treffpunkt aufstellten, um einmal im Monat mit anderen ins Gespräch zu kommen. Sie wird immer auf einem anderen Hof aufgestellt. „Eifa war tot, wir haben uns nur noch auf dem Friedhof getroffen. Wir brauchten ein modernes Milchhäuschen“, sagt sie mit Blick auf das kommunikative Zentrum des Ortes in früheren Zeiten. „Solche sozialen Treffpunkte werden in Zukunft immer wichtiger“, sagt Weber. Einsamkeit werde nämlich ein großes Thema.
tegut… auf dem Land
Damit die Menschen in ländlichen Gegenden für den täglichen Lebensmitteleinkauf nicht kilometerweit fahren müssen, hat tegut… vor 10 Jahren die „Lädchen für alles“ ins Leben gerufen. „Uns ist die Grundversorgung mit guten Lebensmitteln aus der Region wichtig und dass die Lädchen den Anwohnern als Treffpunkt dienen. Das stärkt auch die Dorfgemeinschaft“, sagt Knut John, tegut… Vertrieb, der aus der Idee 2010 das Konzept dafür entwickelt hat. Das Besondere: Die Orte bewerben sich, tegut… kooperiert dann mit Gemeinden und Sozialeinrichtungen, die sich um den Betrieb kümmern. 28 tegut… Lädchen gibt es inzwischen.
Von Sara Lisa Schäubli