Selber machen und reparieren - ein tolles Gefühl!

Alles handgemacht!

Anders als frühere Generationen konsumieren wir viel und kreieren eher wenig. Lohnt es sich, das Rad ein Stückchen zurückzudrehen und wieder mehr selbst anzubauen, zu reparieren, zu upcyceln? Unbedingt! Hier kommen viele gute Gründe dafür.

Ein Opa bemalt mit seinem Engle ein Vogelhaus, was sie selber gebaut haben.
Werkstolz: Als Kinder haben wir fast alle gern gebastelt. Diese kreative Ader können wir auch noch als Erwachsene anzapfen. Foto: iStock

"Schau mal, hab ich selbst gemacht!“ Spätestens seit dem Kindergarten und den ersten gebastelten Papierblumen gibt es wohl kaum einen Satz, den wir mit mehr Stolz in der Stimme sagen. Der knallblaue Pulli, gleich hundertmal so schön, wenn jede Masche aus Eigenproduktion stammt. Das ausrangierte Bett vom Dachboden, mühevoll abgeschliffen und frisch lackiert, wird automatisch zum neuen Lieblingsstück. Und die Karotte schmeckt wie eine Offenbarung, wenn wir sie selbst ausgesät, vier Monate lang gegossen und schließlich aus der Erde gezogen haben.

„Etwas Kaputtes heil zu machen, tut auch was für den eigenen Selbstwert.“

Das Gefühl, mit den eigenen Händen etwas zu schaffen, schien uns fast verloren gegangen zu sein. Bis Ende der 1990er die Renaissance des Selbstgemachten in den USA begann. Damals boten die ersten Online-Plattformen wie „Getcrafty“ versprengten Handarbeitsfans einen virtuellen Treffpunkt, 2005 kam dann der Marktplatz für handgemachte Produkte „Etsy“ hinzu. Modedesignerin Vivienne Westwood beförderte 2009 in ihrer Frühjahrskollektion Heimtextilien zu High Fashion. Etwa seit dieser Zeit wird auch hierzulande exzessiv genäht und gehäkelt, geflickt, ausgebessert, eingeweckt und fermentiert. Dass der Do-it-yourself-Trend, kurz DIY, mit steigender Smartphone-Zeit wächst, ist kein Zufall. Denn man baut sich damit ein Gegenstück zur digitalen Welt. Im Beruf, so eine These des Neurobiologen Gerald Hüther, spüren viele längst nicht mehr die Wichtigkeit ihres Tuns. Wenn wir Dinge selbst erschaffen, haben wir jedoch wieder das Gefühl, die Kontrolle zu haben. Darum zieht es uns zurück zu den Wurzeln, zu den guten alten Dingen. Heute zeigen uns DIY-Stars auf Pinterest, YouTube oder Selbstmach-Blogs in zahllosen Tutorials, wie das geht. Vor allem Basteleien aus Papier sind im Kommen, wie der „Pinterest Predicts Report 2023“ zeigt: Quilling, das Basteln mit gerollten Papierstreifen, und die alte japanische Faltkunst Origami. Das Internet ist inzwischen wichtigste Inspirationsquelle: 54 Prozent holen sich hier neue Ideen. 2018 waren es nur 21 Prozent. 

Der Wunsch nach Handfestem

Eine aktuelle repräsentative Studie im Auftrag des Werkzeugherstellers Einhell spiegelt den gesellschaftlichen Trend zum Selbermachen wider: Menschen investieren gern Zeit in die Verschönerung des eigenen Zuhauses. So stimmen 56 Prozent der Aussage zu: „Ich heimwerke für mein Leben gern“, 49 Prozent sind ständig auf der Suche nach neuen DIY-Projekten. Nur im eigenen Grün scheinen die Deutschen sich noch lieber auszutoben: 69 Prozent gärtnern gern.
Der Wunsch, mal wieder etwas Handfestes zu machen, steckt in vielen von uns. Bei Gartenbloggerin Carolin Engwert (hauptstadtgarten.de) war es genau dieses Bedürfnis – plus der Ruf ihrer Kinder nach einem Kletterbaum –, das die Berlinerin dazu brachte, einen Kleingarten zu pachten. Als Grafik- und Webdesignerin hat sie ein digitales Leben. Doch ihre Mutter lebte ihr bereits Anfang der 1980er all die Dinge vor, die heute wieder aufkommen: Socken stricken, Essig herstellen, Wolle spinnen. „Wie sie sich mit diesen haptischen Dingen geerdet hat, war inspirierend. Aber mein Hauptmotor war es, mich als Erwachsene mal so richtig dreckig machen zu können.“ Und damit ist sie nicht allein. Was die ungebrochene Affinität von Städtern zum Gärtnern beweist: Urban und Guerilla-Gardening, Balkongärtnern, Schrebergärten. Während die Welt unaufhaltsam beschleunigt und technisiert wird, sehnen wir uns umso mehr nach dem einfachen, naturverbundenen Leben. „Ich finde es toll, mir etwas vorzunehmen, einen Plan zu haben“, sagt Carolin Engwert. „Aber dann zu erleben, wie der Frost dazukommt, der Regen, die Insekten, der Maulwurf – das hat mich eine große Demut gegenüber der Natur gelehrt. Und auch gegenüber den Menschen, die Lebensmittel produzieren. Ich würde ausschließen, dass bei mir Möhren im Kühlschrank vergammeln. Weil ich die Erfahrung gemacht habe, wie lang der Weg ist, bis sie bereit für den Teller sind.“

 

Inspiration im Netz

  • Kristina Steinmetz bloggt über ihre liebsten IKEA-Hacks, DIY-Projekte und Upcycling fürs Zuhause: ichdesigner.com

  • Aus alten Möbelstücken fertigt Alexander Johnson neue Einrichtungsobjekte (auch zum Abgucken auf YouTube): easyalex.com

  • Deko, Selbstgebackenes und Schönes für den Garten – Interior-Stylistin Evi aus Hamburg sprudelt nur so vor Ideen, die sie mit uns teilt. Instagram: @mrsgreenhouse.diy

  • Ein kreatives Team rettet Materialien vor der Entsorgung und zeigt, wie es daraus Möbel baut. Instagram: @use.less.design

  • Bei Lily Fulop finden sich jede Menge Tipps und Inspiration zum Thema nachhaltige Mode. Instagram: @mindful_mending  

 

Wertigkeit statt immer neuer Hypes 

Während Modefirmen Kleidung so schnell und billig wie möglich produzieren, fühlt es sich beinahe wie eine kleine Revolution an, in aller Ruhe etwas Langlebiges zu schaffen. Und es steigert den Wert der Dinge, da wir Zeit und Arbeit hineinstecken. Fast Fashion hingegen sorgt für riesige Mengen an Abfall und Umweltverschmutzung, da beim Abbau von Kleidung das Treibhausgas Methan freigesetzt wird.
60 Kleidungsstücke kaufen Deutsche im Schnitt jedes Jahr, 40 Prozent davon werden laut Bundesumweltministerium nie oder nur selten getragen. Um einen Anreiz zu mehr Nachhaltigkeit zu schaffen, hat die Initiative Refashion in Frankreich jetzt einen Reparaturbonus eingeführt. Bis zu 25 Euro bekommt man direkt von der Schneiderei oder beim Schuster erstattet, wenn man dort etwas heil machen lässt, statt es wegzuwerfen. Eine Bewegung, die hoffentlich auch nach Deutschland schwappt.
Wer gern selbst Hand anlegt und aus ungeliebten Teilen frische Looks zaubern will, kann sich bei Portia Lawrie, Autorin des Nähbuchs „Re: Fashion Wardrobe“ (siehe unten) Inspiration holen. „Es ist umweltfreundlich, wirtschaftlich und ethisch, aber es gibt noch andere subtile Vorteile, wie zum Beispiel, das Potenzial einer Sache zu erkennen und das Beste aus ihr herauszuholen“, so die Designerin aus Essex. Außerdem sorgt es für mehr Individualität, im Gegensatz zur globalisierten Gleichmacherei großer Modeketten. 

Lesestoff

Carolin Engwert und Véro Mischitz, Kosmos Verlag

„Ich sehe mich als grüne Cheerleaderin, die andere bestärkt, das Gärtnern mal auszuprobieren“, so Carolin Engwert. „Aber ich versuche auch zu sagen, dass man sich nicht überfordern sollte. So ein Garten eignet sich gut, um eigene Ansprüche runterzuschrauben.“ Eine praxisnahe und schön gestaltete Lektüre.   

Portia Lawrie, Christophorus Verlag

Bei der britischen Designerin und Bloggerin können sich Näh-Begeisterte stylishe Inspiration holen und einfache Techniken abschauen.

Julia Zohren, Edition Michael Fischer

Die grüne Bloggerin Julia Zohren liefert rund 100 Tipps, wie man mit wenig Aufwand den Familienalltag umweltbewusster gestalten kann – von selbst gemachten Reinigungsmitteln bis zu wiederverwendbaren Abschminkpads.

Melanie Jaeger-Erben und Sabine Hielscher, transcript Verlag

Die Autorinnen würdigen in ihrem Buch Reparaturfans mit Bildern, Zeichnungen und Zitaten und beschreiben den Einfluss des Reparierens auf soziale Beziehungen und das Verhältnis von Mensch und Umwelt.

Reparieren macht Schule

Während die einen aus alten Tischdecken Kleider nähen oder ihre Küchenabfälle zu Kompost sieben, nutzen die anderen ihre Hände, um gebrauchte Dinge wieder in Gang zu bringen. Früher war es normal, ein kaputtes Radio richten zu lassen, heute landet es auf dem Müll. Denn ein neues zu kaufen, ist meist günstiger. Dabei sparen wir bei jeder Reparatur eines Elektrogeräts bis zu 24 Kilogramm CO2. Ein erster Schritt in Richtung Veränderung ist die neue „EU-Ökodesign-Richtlinie“, die vorsieht, dass Ersatzteile für Elektrogeräte bis zu zehn Jahre nach Kauf noch lieferbar sein müssen. Für Walter Kraus, Physik- und Mathematiklehrer an der Rudolf-Steiner-Schule München-Schwabing, hat das Reparieren so viele positive Aspekte, dass er dort die Reparaturwerkstatt „Fixing for Future“ ins Leben gerufen hat – inspiriert von der Idee der Repair-Cafés, von denen in Deutschland heute 1.060 gelistet sind. Bei ihm reparieren Schülerinnen und Schüler nach der Methode des entdeckenden Lernens. Für Kraus gehört das Thema zur schulischen Bildung – um Nachhaltigkeit bei jungen Leuten zu verankern, die in einer Wegwerfgesellschaft groß werden. Wie erfüllend das Reparieren sein kann, beobachtet der Pädagoge nicht nur an sich selbst: „Wenn ein Schüler oder eine Schülerin lange an einem Gerät getüftelt hat, es einschaltet und es funktioniert, dann kommt oft ein Aufschrei, ein richtiges Juchzen, aus tiefer Freude, es geschafft zu haben.“
Sich etwas mit den Händen zu erarbeiten, steigert offenbar das Wohlbefinden, besonders dann, wenn man sonst den ganzen Tag am Computer sitzt. „Wenn ich mal einen richtig schlechten Tag habe, gehe ich in den Garten und fühle mich danach auf jeden Fall ein oder zwei emotionale Stufen besser“, bestätigt auch Carolin Engwert. In England wird inzwischen sogar „Vitamin G“ ärztlich verordnet – Gartenzeit gegen Stress und für die Gesundheit. Aber auch, wer Taschen häkelt oder Marmelade einkocht, betreibt Selfcare. Wir kommen zur Ruhe und lassen dabei die äußere Welt, unsere Gedanken und Sorgen hinter uns. Ein bisschen wie bei einer Meditation, nur mit einem Ergebnis zum Anfassen.

 „Masche für Masche in den glückseligen Zustand namens Flow kommen.“

 

Text: Lena Schindler