Man könnte Stille pauschal definieren als Abwesenheit von Lärm. Spüren wir genauer hin, entdecken wir, dass sie sich ganz unterschiedlich anfühlen kann. Kennen Sie diese Arten von Stille?
Inhalt
Die Kraft der Meditation: Ruhe im Sturm der Gedanken finden
„Meditation verleiht uns inneren Frieden, der aus der Stille des Geistes hervorgeht.“ (Dalai Lama) - die meditative Stille
Die Gedanken sind frei, und das ist ja irgendwie auch gut so, aber sie sind auch frech, weil sie sich so viel herausnehmen. Immer wieder tauchen sie auf, schießen quer, vor allem die unschönen, schweren Gedanken – und vor allem dann, wenn wir doch einfach nur zur Ruhe kommen möchten, wenn wir Stille in unserem Kopf brauchen, zum Beispiel vor dem Einschlafen. Per Meditation können wir unseren Verstand beruhigen und die ersehnte Stille herstellen. Das ist anfangs gar nicht so leicht, weil es einem gelingen muss, die Gedanken, die durch die äußerliche Ruhe unweigerlich angezogen werden, ziehen zu lassen. Dabei hilft es, jeden Gedanken, der ins Bewusstsein kommt, mit einer wertschätzenden Haltung wegzusortieren. Nach dem Motto: Danke, dass du da bist, ich nehme mir später Zeit für dich, denn jetzt gerade möchte ich meditieren. Wer regelmäßig versucht, sich und seinen Kopf in meditativer Stille zu versenken, lernt das schnell. Im Inneren entsteht so eine friedliche Ordnung, die sich unterschiedlich anfühlen kann. Vielleicht nimmt man die Geräusche der Welt nur noch entfernt wahr, hat das Gefühl, auf einem Berg zu sitzen und in ein entferntes Tal hinabzuschauen. Oder man wird zum stillen See, der ruhig daliegt und die Dinge um sich herum nur auf seiner Oberfläche widerspiegelt. Oder man hört alles um sich herum genau, nur sich selbst nicht – alle inneren Geräusche und Gedanken sind verschwunden, die inneren Stimmen sind verstummt. Im eigenen Inneren ist es herrlich still und beglückend leer.
Ruhige Reise
Sieben Stille Orte in Deutschland, die einen Besuch lohnen.
Die Stille des Wartezimmers: Zwischen Hoffen und Bangen
„Wie groß kleine Geräusche in der Stille werden.“ (Cornelia Funke) – die angespannte Stille
Ein Wartezimmer ist ein seltsamer Ort. Es können noch so viele Menschen darin sitzen, die zwar alle dasselbe Ziel haben – die Ärztin oder den Arzt zu sprechen –, dennoch verspürt man hier kein Gefühl der Zusammengehörigkeit: Jede und jeder wartet für sich allein. Die Stille, die hier herrscht, entspringt nicht nur dem gesellschaftlichen Konsens, dass man in Wartezimmern nicht plaudert, vielmehr verspüren hier wohl auch die größten Quasselstrippen kein Bedürfnis nach Small Talk. Telefongespräche sind gleich ganz tabu, die Begrüßung von Neuankömmlingen wird eher niederfrequent gebrummt und wenn ein Kind anwesend ist, wird es wispernd angewiesen, sich schön still zu beschäftigen. Hier herrscht die Stille der Anspannung, die Ruhe vor dem Sturm, der Moment hinter der Bühne, bevor sich der Theatervorhang hebt. Der Mensch im Wartezimmer sitzt in einem Zwischenreich, in dem er nichts anderes mehr tun kann als auszuharren, mehr oder weniger geduldig. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, die Spielkarten verteilt. Die äußere Stille füllt sich im Inneren mit umso lauter brausenden Fragen: Was habe ich? Wird man mir helfen können? Wann werde ich wieder gesund? Oder banger: Werde ich wieder gesund? Nach außen hin manifestiert sich dieser Lärm in leisem Zeitschriftenblättern oder gelegentlichem Räuspern. Und endet erst, wenn der erlösende Ruf kommt, dass man an der Reihe ist. Dann gibt es zwar kein Zurück mehr, aber wenigstens rückt auch der Moment der Gewissheit näher und mit ihm die Möglichkeit, dass alles wieder gut wird.
Die Macht der Stille: Kreativität und Inspiration finden
„Der Weg zu allem Großen geht durch die Stille.“ (Friedrich Nietzsche) – die geduldige Stille, in der Dinge reifen
Die Erfolgsserie „Mad Men“ zeigt eindrücklich, wie die Hauptfigur, der erfolgreiche Werber Don Draper, auf neue Slogans für seine Werbespots kommt: Er zieht sich in sein Büro zurück, schließt die Tür hinter sich und die lärmenden Schreibmaschinen und das wild diskutierende Kollegium davor aus. Dann hüllt er sich in Zigarettenrauch, greift sich ein ordentlich gefülltes Whiskyglas und starrt schweigend auf die Wände seines Büros. Manchmal macht er zwischendurch auch ein Nickerchen. Er liest nichts, er recherchiert nichts, er notiert nichts. Er lauscht ausnahmslos der Stille in seinem geschmackvoll eingerichteten Mid-Century-Büro in Manhattan. Um früher oder (meist) später mit einer brillanten Idee wieder nach draußen zu treten. Das funktioniert nicht nur im Fernsehen: Wer kreative Prozesse in seinem Gehirn anstoßen will, muss manchmal raus aus dem Dauerfeuer des Alltags und sich geduldig in Stille versenken. Denn in dieser Ruhe und vermeintlichen Ereignislosigkeit können sich neue Gedanken formen, der Kopf wird klar, weil er nicht mehr auf Außenreize reagieren muss. Versuche mit Labormäusen haben gezeigt, dass in so einer produktiven Stille neue Nervenzellen im Hippocampus wachsen. Oder wie es der Psychiater und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Volker Busch ausdrückt: „In unseren Gehirnen passiert das Gleiche, was wir auch anderswo in der Natur sehen: Wachstum vollzieht sich dann, wenn die Welt vermeintlich stillsteht.“
Stille in Zahlen
Bei ruhigem Wetter werden für Schneefall etwa 10 Dezibel gemessen, so laut bzw. leise ist auch das menschliche Atmen.
Wir Menschen empfinden Geräusche zwischen 40 bis ca. 65 Dezibel als leise, normal und angenehm. Laut wird es für uns ab einer Lautstärke von ca. 80 Dezibel, das entspricht etwa dem Geräusch eines Staubsaugers.
Eine schalltote Kammer in der Firmenzentrale von Microsoft in Redmond bei Seattle. Die Kammer schluckt 99,999 Prozent der Geräusche und hat einen Störschallpegel von minus 20,6 Dezibel, d. h. 20,6 Dezibel unter dem Punkt, an dem das menschliche Hörvermögen einsetzt. Absolute Stille wie diese halten wir übrigens nicht lange aus, sie macht uns Angst.
Unsere Schlafqualität wird schon von Geräuschen ab 25 Dezibel beeinträchtigt. Zum Schutz vor nächtlicher Lärmbelästigung hat die WHO 2009 einen Grenzwert von einem jährlichen durchschnittlichen nächtlichen Geräuschpegel von max. 40 Dezibel eingeführt. Das entspricht etwa dem Lärmpegel einer ruhigen Straße in einem Wohngebiet.
Der Wald als Ort der Stille und Erholung
„Ich verstehe nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann, ohne glücklich zu sein.“ (Fjodor Dostojewski) – die beruhigende Stille
Welche Orte assoziieren wir mit Stille? In eine Runde gefragt, würde wohl ziemlich schnell jemand den Wald nennen. Auch wenn es dort ja selten so richtig still ist: Es knackt, es rauscht, die Vögel singen in den Ästen, die Eichhörnchen witschen die Baumstämme rauf und runter. Aber all diese Geräusche sind eine Wohltat für uns gestresste Gegenwartsmenschen, liebliches Tirili statt lautem Trara. Sobald wir einen Wald betreten, legt er seinen schützenden Mantel um uns. Dieser zauberhafte Ort schirmt uns ab vom Lärm der Welt mit ihren permanenten Anforderungen. Hier kann niemand so einfach auf uns zugreifen, im besten Fall haben wir sowieso keinen Handyempfang. Auf seine leise und sanfte Art animiert uns der Wald, in ihn einzutauchen und ein wohltuendes Waldbad für Körper und Seele zu nehmen. Durch die natürliche Ruhe senkt sich unser Stresslevel, das Durchatmen fällt uns leichter, wir werden eins mit der Natur und damit Teil eines großen Ganzen. Im Farbenspiel des Waldes kommen die Augen zur Ruhe, egal ob sie grün sehen oder bunt oder im Winter vielleicht sogar weiß. Es darf nur niemand auf die Idee kommen, der schönen Stille des Waldes ein düsteres Adjektiv zu verpassen. Dann kann aus dem Zauber schnell ein Schauder werden – und von dem profitieren dann nur noch Krimiautorinnen und -autoren.
Achtsame Anleitung für einen Winterspaziergang
Die eigene Verbindung zur Natur spüren – in der kühlen und optisch eher kargen Jahreszeit ist das ein ganz besonderes Erlebnis. Diese Schritte helfen dabei:
Das wohltuende Schweigen tiefster Verbundenheit
„Ein Blick sagt mehr als tausend Worte.“ – die innige Stille
Ein Restaurant an einem Freitagabend. Stimmengewirr. Teller klappern. Gläser klirren. Die Bedienung tänzelt zwischen den Tischen umher. Definitiv kein Ort der Stille, eigentlich. Doch mitten in diesem lauten Raum sitzt ein Paar beim Essen und schweigt. Ist es die Art von Schweigen, die bedeutet, dass man sich leider nichts mehr zu sagen hat nach 7, 14, 21 Jahren Beziehung? Und deshalb nur noch Plattitüden austauscht oder sich lieber gleich mit dem Smartphone unterhält? Nein, wobei man vielleicht nur einen Tisch weiter schauen müsste, um ebendiese Art von Paarschweigen zu entdecken, die quasi zur Grundausstattung eines jeden Restaurantbesuchs gehört. Aber unser Paar hier in der Mitte des lauten Raumes schweigt auf die gute Art. Sein Schweigen ist Ausdruck tiefer Verbundenheit, tiefen Vertrauens. Die beiden müssen sich nicht (mehr) durch andauerndes Quatschen einander versichern, da zu sein. Sie empfinden die Stille zwischen ihnen nicht als einen Zustand, der kaum auszuhalten ist. Im Gegenteil: Sie genießen sie, gemeinsam und in dem schönen Gefühl von „Du bist gut so, wie du bist, ich bin gern an deiner Seite“. Sie wissen, welche Momente keine Worte brauchen, aber sie wissen auch, dass so ein Miteinanderschweigen nur möglich ist, wenn es in ihrer Beziehung andererseits auch hörbaren Austausch gibt, gemeinsames Lachen, Erzählen, Diskutieren. Der Grat zwischen dem Miteinander-schweigen- Können und dem Sich-Anschweigen ist schmal. Manchmal liegt nicht mal eine Tischbreite dazwischen.
Text: Katharina Wantoch