Degustieren: So verkosten Experten

Kostbares kann man kosten

Was macht einen guten Kaffee aus? Und wie können wir die Qualität noch besser herausschmecken? Hier antwortet eine professionelle Verkosterin.

Zwei Kaffeetassen stehen auf einem Tisch während Kaffeebohnen um sie verteilt sind

Viel zu oft trinken oder essen wir, ohne wirklich zu schmecken, was wir uns gerade einverleiben. Wir unterhalten uns nebenher, lesen oder – schlimmer noch – arbeiten sogar dabei. Im Grunde wissen wir, dass wir uns dadurch ein erhebliches Maß an Genuss entgehen lassen. Die hier befragten Menschen widmen dem Verkosten hingegen ihre volle professionelle Aufmerksamkeit. Sie wissen etwa, dass es neben den Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter auch die Richtung „umami“ gibt. Dieser fünfte Geschmack ist nicht so leicht zu definieren und wird oft mit der asiatischen Küche in Verbindung gebracht. Das Wort stammt aus dem Japanischen und bedeutet wohlschmeckend. „Umami“ schmecken würzige Lebensmittel wie Wurst, Käse, Pilze oder Sojasauce. Für alle Geschmacksrichtungen verfügt unsere Zunge über spezielle Rezeptoren. Allerdings entscheidet sich weniger im Mund, was uns wie schmeckt, sondern in der Nase: Geschmack ist zu rund 80 Prozent Geruch. Durch den Rachen gelangen die Duftmoleküle der Speisen von hinten in die Nase und aktivieren unsere Riechrezeptoren.Die Käseexpertin Sandra Schumertl empfiehlt dafür folgenden Test: eine Nuss oder Mandel in den Mund nehmen und die Nase zuhalten. Die Nuss oder Mandel zu Brei zerkauen und im Mund verteilen. Hand von der Nase nehmen und durch die Nase Luft einsaugen, durch den Sauerstoff schließen sich die Aromen besser auf. Das Geschmackserlebnis ist überwältigend!

Je komplexer, desto besser

Frau Gerasch, Sie sind seit 18 Jahren als Kaffeetesterin tätig. Wie kann man sich an ein Aroma, das man schon mal geschmeckt hat, erinnern?

Ein Geschmacksgedächtnis muss erst sorgfältig trainiert werden. Dabei hilft es, zu einem Aroma Bilder oder konkrete Situationen zu assoziieren. In einem meiner Seminare hat sich mal jemand bei einer Kaffeesorte an seine verstorbene Oma erinnert, in deren Kleiderschrank es nach Lavendel roch.

Und wie können wir unseren Kaffeegeschmack noch besser schulen?

Einfach, indem Sie unterschiedliche Kaffeesorten ausprobieren. Am besten keine Mischungen aus verschiedenen Ländern, sondern einen sortenreinen Kaffee aus einem Land, sodass sich der pure Geschmack offenbart. Ich empfehle, auf einem Kontinent zu starten. Ein afrikanischer Kaffee ist in der Tendenz sehr säurebetont, spritzig, während asiatische Kaffees eher schwere, würzige Noten und wenig Säure haben.

Woran erkenne ich, ob ich es mit einemminderwertigen Kaffee zu tun habe?

Für Einsteiger ist das schwierig, weil neben der Kaffeequalität so viele Faktoren hineinspielen:
die Röstung, die Zubereitung, die Qualität des Wassers. Ein ausgesprochen bitterer Geschmack sollte jedoch nicht vorkommen. Bei der Säure ist es positiv, wenn sie an frische Früchte erinnert und sogar eine leicht süße Note mitschwingt. Schmeckt die Säure hingegen bissig und geht in Richtung Essig – besser die Finger davon lassen.

Auf eine einfache Formel gebracht?

Die gibt es nicht. Man kann aber sagen: Vielseitigkeit im Aromaspiel ist gewünscht und der Geschmack sollte insgesamt ausgewogen sein.

Biografie

Katharina Gerasch, 37, hat für Kaffeefirmen im Bereich Qualitätsmanagement und Produktentwicklung gearbeitet und als selbstständige Verkosterin Firmen und Kaffeeröstereien beraten. Sie ist viel um die Welt gereist, um Herkunftsländer kennenzulernen und Produzierende zu beraten. Zweimal wurde Gerasch bei den deutschen Cuptasting-Meisterschaften zur „besten Kaffee-Verkosterin Deutschlands“ gekürt. Seit Kurzem ist sie in Hamburg bei dem Rohkaffeehändler InterAmerican Coffee fest angestellt.


Wein hat mit Gefühl zu tun

 

„Ich rieche und schmecke an nahezu allem, jeden Tag. Wenn ich in der Natur unterwegs bin, schnuppere ich an Bäumen und Blumen. Betrete ich einen Weinberg, nehme ich die Erde in die Hand, rieche an ihr. Das würde ich auch allen raten, die ihren Geschmack und Geruch trainieren wollen: mit offener Nase und offenen Augen durch die Welt zu gehen, auch mal, warum nicht, an einem Stein lecken und überlegen, wie er schmeckt.

Seit 13 Jahren arbeite ich als Weinsommelier, an manchen Tagen verkoste ich 300 bis 400 Weine. Wenn man über längere Zeit nicht verkostet, vergisst die Zunge wieder, man muss immer dranbleiben. Je länger man sich mit Weinen beschäftigt, umso mehr wird man zum Gourmet und ein bisschen versaut, die Ansprüche steigen. Diese Erfahrung machen übrigens auch Laien, die häufiger Weine probieren.

Ich empfehle, privat Verkostungen zu organisieren, um den Geschmack zu schulen, das kann viel Spaß machen. Dabei sollte man sich auf eine Rebsorte beschränken, etwa Sauvignon blanc, und drei typische Vertreter dieser Sorte kaufen. Vor der Verkostung kann man sich über die Aromen, die die Weine auszeichnen, informieren und eventuell ein paar Früchte einkaufen, die mit den Aromen korrespondieren. Ein typisches Aroma für Sauvignon blanc ist zum Beispiel Stachelbeere. Man kauft sich ein paar frische Stachelbeeren, stellt sie in einer Schale auf den Tisch, riecht daran, nimmt auch mal eine Beere in den Mund. Dann versucht man, dieses Aroma im Wein wiederzufinden. Mit dieser Methode kann man seinen Geschmack entscheidend verfeinern. Wein hat ganz viel mit Sinnlichkeit und Emotionen zu tun.“

Biografie

Maximilian Wilm, 35, wurde 2019 von der Sommelier-Union zum besten Weinsommelier Deutschlands gekürt. Er ist Betriebsleiter und Sommelier bei Kinfelts Kitchen & Wine in der Hamburger Hafencity. Dort stehen rund 400 Weine auf der Karte, 90 Prozent sind aus Bio-Produktion. Auch privat trinkt Wilm lieber bio als herkömmlich hergestellten Wein, „weil es für mich die lebendigeren und nachhaltigeren Weine sind“.

 

Gutes Olivenöl erzeugt ein wohliges Prickeln im Hals


Frau Barduhn, was sind eigentlich die Kriterien für ein gutes Olivenöl?

Es soll fruchtig, bitter und scharf schmecken und einen harmonischen Gesamteindruck hinterlassen. Ein „natives Olivenöl extra“ wird ausschließlich aus frisch geernteten Oliven gewonnen und rein mechanisch ohne Wärmeeinwirkung oder chemische Hilfsmittel hergestellt. Deshalb duftet und schmeckt es nach baumfrischen Oliven. Außerdem spürt man bei einem guten Öl immer dieses wohlige Prickeln im Hals – eben weil die Olive von Natur aus bitter und scharf ist. Vergleichen Sie mal ein Olivenöl mit dem Zusatz „nativ extra“ auf dem Etikett mit einem Öl ohne diese Bestimmung, dann wissen Sie, was ich meine. 

Gibt es denn neben fruchtig, bitter und scharf bei einem Olivenöl noch weitere Aromen? 

Sicher. Ein gutes Olivenöl erinnert an Aromen aus der Natur, die Spanne ist enorm vielfältig. Mal haben wir es mit grasigen oder kräutigen Noten zu tun, mal mit Gewürzen wie Nelken, ein anderes Mal geht das Aroma in Richtung frisches Obst, Gemüse oder Blüten. 

Sagt die Höhe des Preises unbedingt etwas über die Qualität des Öls aus?

Ist der Preis niedrig, ist die Qualität garantiert schlecht. Leider ist ein hoher Preis aber kein hinreichendes Kriterium für ein gutes Olivenöl. Ausschlaggebend ist letztlich der Geschmackstest.

Gibt es bei Bio-Olivenöl auch große Qualitätsunterschiede? Schmeckt es normalerweise besser als herkömmliches Olivenöl? 

Bei Bio-Olivenölen stelle ich teilweise beachtliche Qualitätsunterschiede fest. Dennoch ist die Chance größer, gute Olivenöle innerhalb der bio-zertifizierten zu finden

Biografie

Kerstin Barduhn, 56, ist Diplom-Kauffrau und Marketing- Fachfrau. In Spanien ließ sie sich zur zertifizierten Olivenverkosterin ausbilden. In ihrer Olive Academy bietet sie Tastings und Seminare für Laien und Fachleute an. Barduhn, die teils in Andalusien lebt, setzt sich für die Förderung von Ölen aus nachhaltiger Landwirtschaft ein und berät Firmen bei ihrem Einkauf.

 

Tee sollte man mit Muße trinken

 

„Für uns Teeleute geht das Jahr nicht am 1. Januar, sondern etwa Mitte März los: Dann beginnen in Darjeeling, einem der bekanntesten Anbaugebiete Indiens, die ersten Pflückungen (First Flush) der Frühjahrsernte. Anfang April treffen die Muster bei uns ein, das ist für mich jedes Mal ein Highlight. Dann entscheiden wir, ob wir den Tee als Flugtee, also ganz frisch, bestellen oder mit dem Schiff. Viele Leute meinen, ein First Flush sei hochwertiger als ein Second Flush, der im Sommer geerntet wird, das ist aber nicht so. Es gibt bei beiden Pflückungen sehr gute Tees und deutliche Qualitätsunterschiede.

Wann ist ein Tee ein guter Tee? Für jede Sorte gilt: Das typische Aroma sollte prägnant zu schmecken sein. Ich empfehle, an den feuchten Blättern zu schnuppern, die durch den Aufguss entstehen, um dem Geschmack näher zu kommen. Zum Assam gehört eine gewisse Würzigkeit und Ruppigkeit. Die erste Pflückung eines Darjeeling schmeckt blumig und leicht grasig, die zweite kräftiger und nussig. Bleibt nach dem Verkosten des Tees ein angenehmer Nachgeschmack im Mund, ist das ein gutes Zeichen; verfliegt der Geschmack schnell, spricht das nicht für Qualität. Für die Ziehzeit reichen beim schwarzen wie beim grünen Tee zwei bis drei Minuten völlig aus, sonst entsteht eventuell ein pelziges Gefühl auf der Zunge.

Als Teeverkosterin oder Tea-Taster sollte man auf bestimmte Dinge besser verzichten: Ich trage zum Beispiel kein Parfum, rauche nicht, esse möglichst nichts Scharfes, um Geschmack und Geruch nicht zu beeinflussen. Meine erste Tasse Tee morgens versuche ich immer mit Muße zu trinken. Je konzentrierter man hinschmeckt, gern auch mit geschlossenen Augen, umso mehr Aromen eröffnen sich. Ein bisschen meditativ darf es schon sein.“

Biografie

Susanne Albrecht, 56, ist ausgebildete Groß- und Außenhandelskauffrau. Fast 25 Jahre war sie beim Familienunternehmen Darboven im Einkauf und Produktmarketing tätig und baute dort die Marke Eilles Tee auf. Seit 2019 ist sie Einkaufsleiterin bei Hanseatic Tea Export, u. a. für Althaus Tee.

 

In manchem Käse steckt sogar Meeresrauschen

 

„Ich werde oft gefragt, was das Geheimnis eines guten Käses ist. Ich denke, das Geheimnis liegt in der Liebe der Bäuerin oder des Bauern zu den eigenen Tieren, die die Milch für den Käse geben. Heumilchkühe zum Beispiel bekommen Gräser und Kräuter zu fressen, im Winter Heu. Dadurch schmeckt der Käse deutlich ausdrucksvoller.

Man muss sich Zeit nehmen, um Käse in all seinen Nuancen zu schmecken. Dabei kommen fast alle Sinne zum Tragen. Ich schaue mir den Käse immer genau an, fühle an ihm, schnuppere, erst dann beiße ich ein kleines Stück ab. Im Mund schiebe ich es hin und her, speichele es ein, so erschließen sich die Aromen am besten.

Für den Laien hilft es, beim Verkosten die verschiedenen erkannten Aromen aufzuschreiben, um sie bewusster wahrzunehmen. Dabei kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen, das kann von der Apfelsorte Granny Smith bis zu Leder gehen. Ein Käse darf auch nach frischem Regen schmecken – das hat mal jemand bei einer meiner Verkostungen gesagt. Es gibt keine allgemeinen Kriterien, was einen guten Käse ausmacht, dazu sind die Sorten zu unterschiedlich. Beim Camembert oder Brie sollte der Käse außen etwas flauschig sein, das heißt, er hat schöne Weißschimmelkulturen, die Kultur kann atmen, sich weiter vermehren. Beim Parmesan gilt: je älter, umso dunkler, eine goldene Farbe ist ideal.

Neulich habe ich mit einer Gruppe in Bayern einen Pellwormer Inselkäse verkostet. Die frische Seeluft beeinflusst den Geschmack, kräftig und würzig. Dazu haben wir vom Band Meeresrauschen gehört. Wir haben die Augen zugemacht und uns vorgestellt, dass wir am Strand stehen. Ein ganz intensives Geschmackserlebnis!“

Biografie

Sandra Schumertl, 48, lebt im bayerischen Hörlkofen. Schon als Mädchen hat sie im Laden ihres Großvaters mitgeholfen, heute führt sie das Geschäft. Die ausgebildetete Käsesommelière ist Mitglied der Internationalen Käsegilde, was in Fachkreisen als Auszeichnung gilt.

 

Text: Franziska Wolffheim

Fotos: FOTOS Stocksy (4), Privat (4), Per Kasch, Adobe Stock