Lebensmittelwertschätzung von Kindheit bis Erwachsensein

Wertvolle Geschenke von Mutter Natur

Wir haben Menschen gebeten, mit uns ihre Leidenschaft für gute Lebensmittel zu teilen – von der Starköchin bis zu einem Kind der jungen Republik.

Eine Mutter mit Ihren 3 Töchtern sitzen an einem Tisch im Garten, während sie zusammen Gemüse schneiden
Sarah Wiener betreibt heute eine Bäckerei undeinen Bio-Bauernhof in der Uckermark. Überihre Stiftung versucht sie, Kinder für frischeProdukte und deren Zubereitung zu begeistern

Mit dem Erntedankfest feiern wir am ersten Herbstwochenende die Segnungen der Landwirtschaft. Ein schönes Ritual. Und eine gute Gelegenheit, kurz innezuhalten und sich am Reichtum an Lebensmitteln grundsätzlich zu freuen, aus dem wir beim täglichen Einkauf in Supermärkten und an Marktständen auswählen können. Und ein Bewusstsein zu entwickeln, dass jedes Lebensmittel mit größter Sorgfalt und hohem Aufwand hergestellt wird. Von der Tiefkühlpizza bis zur Bio-Möhre.

Sarah Wiener – frühere Fernsehköchin

schreibt hier über die guten Gründe, möglichst alle Teile eines Lebensmittels zu verwenden.

„Das Wichtigste: mit allen Sinnen die Herkunft unserer Lebensmittel kennenlernen."

„Mein Glück war, dass in meiner Kindheit alles, was aus der Dose kam, dreimal teurer als die frischen Produkte war und die Markthalle in Wien gleich nebenan. Meine Mutter war eine sehr gute Köchin, ich war einfach fasziniert vom Kochen, den Gerüchen, dem wunderschönen Gemüse, Obst, den Kräutern. Kochen ist sinnlich, befriedigend und selbstwirksam.

Wir lernen als Kinder, was uns schmeckt, daher müssen wir da auch ansetzen. Studien zeigen, dass sich Kinder, die in die Zubereitung von Mahlzeiten mit frischen Lebensmitteln eingebunden werden, später auch gesünder ernähren. Aktuell sind viele Kinder und Jugendliche von Übergewicht betroffen, ihnen drohen im späteren Leben schwere Krankheiten. Viele Familien kochen überhaupt nicht mehr frisch. Dagegen müssen wir angehen: in den Familien und mit praktischer Ernährungsbildung in Kitas und Schulen. Dafür setze ich mich mit meinem Stiftungsteam und unseren Bildungsprogrammen und digitalen Angeboten ein (sarah-wiener-stiftung.de).

Dazu gehört der Gedanke, das ganze Lebensmittel zu verarbeiten. Das fängt beim Grün der Karotten an – das muss nicht in den Müll wandern, sondern es lässt sich für eine Gemüsebrühe oder auch ein Pesto nutzen. Genauso ist es mit den Stängeln der Kräuter – in vielen Fällen sind die sogar schmackhafter als die Blätter. Wie bei Petersilie oder Basilikum etwa. Beim Fleisch lässt sich die Karkasse des Huhns für eine wunderbare Hühnerbrühe nutzen – genauso ist es mit den Markknochen vom Rind oder Kalb. Die Brühe lässt sich in Portionen einfrieren und bei Bedarf verwenden.

Bei Kindern stößt natürlich der „Samen“ der Wertschätzung für Lebensmittel auf besonders fruchtbare Erde. Bei Erwachsenen ist das schon schwieriger. So, als würde man eine neue Fremdsprache lernen – so, wie man dann mit Akzent spricht, sind auch die Sinneseindrücke beeinflusst. Wenn man mit Tütensuppen und überzuckerten Marmeladen aufwächst, wird man diesen Genuss, den eine reife und tief aromatische Tomate oder Erdbeere bedeuten kann, leider nicht vermissen. Das Wichtigste bleibt: offen sein und mit allen Sinnen die Herkunft unserer Lebensmittel kennenlernen und den Unterschied fühlen, erleben – und schmecken!“

Moritz Grüninger – Produktionsleiter und Bäckermeister bei der Herzberger Bäckerei in Fulda

schreibt über den Aufwand und seinen Anspruch, exzellentes Brot zu backen.

„Es macht mich traurig, wie oft gerade Backwaren verderben.“

„Heutzutage ist die Herstellung von Backwaren oft den Anforderungen der industriellen Fertigung unterworfen. Der Einsatz von technischen Enzymen, die übrigens nicht deklariert werden müssen, sorgt dafür, dass Brot und Brötchen länger haltbar bleiben. Im traditionellen Bäckerhandwerk wurden diese Enzyme früher nicht gebraucht, um gute Backwaren herzustellen.

Die Herzberger Bäckerei ist eine reine Bio-Bäckerei. Wir verzichten vollständig auf chemische Zusatzstoffe und technische Enzyme. Vielmehr setzen wir, neben besten Zutaten und viel Zeit, auf Fachwissen und ein Team, das sein Handwerk versteht. Sauerteig zum Beispiel ist eine Wissenschaft für sich und bedarf viel Erfahrung. Bei uns steht der Sauerteig 12 bis 24 Stunden und durchläuft drei Entwicklungsstufen, bis er maximal fermentiert ist. Jedes Baguette und jedes Brot wird noch mal durch Bäckerhand geprüft. Nur durch diesen handwerklichen Mehraufwand können wir u. a. natürliche Rohstoffschwankungen (weil nicht chemisch behandelt) oder Veränderungen in der Teigkonsistenz feststellen und eingreifen. So erhält man ein gutes, ehrliches Brot oder Brötchen ohne Schnickschnack.

Es macht mich auch traurig, dass noch viele Backwaren verderben oder weggeworfen werden. Daher mein Tipp: vorausschauend einkaufen, nicht mehr, als man verbraucht. Und wenn doch mal was übrig bleibt: rasch einfrieren und später wieder aufbacken.“

Patrick Lilli – Bio-Gemüsebauer bei der Firma Höfler im Nürnberger Knoblauchsland

schreibt über die lohnenswerten Mühen der ökologischen Landwirtschaft.


„Ich bin seit 6 Uhr heute im Betrieb. Als Erstes durchgehen und schauen, ob die Pflanzen gut aufgewacht sind. Bei den Gurken merke ich es am Geruch, ob alles gut ist, bei den Tomaten eher daran, wie sich die Färbung entwickelt. Ich stamme hier aus dem Knoblauchsland nördlich von Nürnberg, da entwickelt man schon als Kind dieses Gespür. Biologisch, und zwar bei uns nach Demeter-Richtlinien, bedeutet einfach in allen Bereichen mehr Arbeit und Mühe.

Wenn ich höre und lese, wie viele Lebensmittel verderben und weggeworfen werden, macht mir das wahrscheinlich noch mehr zu schaffen als den normalen Konsumentinnen und Konsumenten. Weil ich weiß, was nötig war, um sie zu produzieren. Unsere biologisch erzeugten Gemüse sollen genauso perfekt und makellos sein wie die konventionellen, da tut es weh, wenn man etwas aussortieren muss. Biologisches und nachhaltiges Arbeiten, das bedeutet zum Beispiel: Jeden Tag muss jemand zehn Stunden lang Unkraut mit der Hand zupfen. Wir benutzen da kein Werkzeug, um die feinen Wurzeln nicht zu beschädigen. Gegen Schädlinge: nur Nützlinge. Das ist gar nicht so leicht, die Insekten aus der Dose zu locken, damit sie ihre Arbeit aufnehmen. Als Dünger gibt es im Winter Mist, danach nur noch Pellets aus unserer Kleegraswiese. Jeden Tag müssen die Beete gepflegt werden, das benötigt viel Erfahrung. Unsere Tomaten und Gurken, also unser Schwerpunkt, sind auch nicht die einfachsten Pflanzen. Viele Probleme beim Umgang mit Lebensmitteln entstehen beim Einkauf. Da ist ein Sonderangebot, dann packt man sich den Kühlschrank voll und schmeißt es später zum Teil weg. Wenn Lebensmittel kostbar sind, sollen sie im Verhältnis zum Aufwand auch etwas kosten.“

Erika Fahrenkamp

Jahrgang 1937, pensionierte Lehrerin, schreibt über den Wert von Lebensmitteln im Krieg und in der jungen Republik.


„Unsere Wohnung in Wilhelmshaven wurde 1942 ausgebombt, die Familie in ein Dorf in der Wesermarsch einquartiert, auf einen kleinen Bauernhof. Es gab vier Kühe, ein paar Schweine, Hühner und auf dem Feld Kartoffeln. Das führte dazu, dass ich nie wirklich Hunger gelitten habe, auf dem Land war man in diesen Jahren durch die Selbstversorgung ja privilegiert. Stattdessen kamen Menschen aus den Städten mit Töpfen, Hausrat, Decken und allem, was entbehrlich war, um es gegen Lebensmittel einzutauschen. Solche „Hamsterfahrten“ hat mein Mann, den ich 50 Jahre später kennenlernte, selbst in unsere Gegend gemacht, wir hätten uns als Kinder treffen können.

Auf dem Hof habe ich die Erzeugung von Lebensmitteln aus der Nähe erlebt, was ein Stadtkind schon damals kaum mitbekommen hätte. Einmal im Jahr eine Hausschlachtung, Kartoffeln einsammeln, Butter machen, Eier aus dem warmen Heu im Stall holen …

Natürlich haben diese Erfahrungen mein Verhältnis zu Lebensmitteln geprägt. Bei mir verdirbt nichts, und ich esse nicht so viel Fleisch. Allerdings: Der Geruch von frischer Bratwurst weckt eine ganz starke Kindheitserinnerung. Das gab’s sehr selten, war aber umso schöner.

Über-Lebens-Mittel

Gute und nachhaltig produzierte Lebensmittel einzukaufen, ist nicht nur Basis einer gesunden Ernährung. Es ist auch eine notwendige Strategie gegen die Krisen unserer Zeit: Klimawandel, Trockenheit, Artensterben, Hunger in mehreren Weltregionen. Einige Fakten dazu:

  • Der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln in Deutschland wächst laut Statista: von knapp 5 Prozent 2016 auf 7 Prozent 2022.

  • Durch die zunehmende Trockenheit rückt der „Wasserfußabdruck“ stärker in den Blick. Ein Beispiel laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: 1 Kilo Kartoffeln braucht 290 Liter, 1 Kilo Rindfleisch 15.000 Liter (99 Prozent davon für Futtermittel).

  • 3

    Ein Gesetz zugunsten der Biodiversität ist eines der wichtigsten EU-Projekte im Jahr 2023. Durch das Artensterben – 30 Prozent der Wiesenschmetterlinge (wichtige Bestäuber) sind z. B. seit 1991 verschwunden – droht eine Nahrungsmittel-Unsicherheit. 

 

TEXT Raimund Witkop

FOTOS Sarah Wiener Stiftung/Thomas Ladenburger, Alnatura/Marc Doradzillo, Höfler Bio-Gemüse, privat