Der Klimawandel und die Landwirtschaft

Die stille Revolution auf dem Lande

Der Klimawandel setzt die Landwirtschaft doppelt unter Stress: Sie muss sich anpassen und zugleich den eigenen Anteil an Treibhausgasen reduzieren. Das erzwingt einen Wandel, der ebenso auf moderne Technik wie auf altes Wissen zurückgreift.

Ein Mann bediend einen Ackerroboter, der die Landwirte unterstützt.
Landwirtschaft der Zukunft: Immer mehr Drohnen, Melkroboter oder computergesteuerte Futteranlagen kommen zum Einsatz für mehr Effizienz und Präzision. Unkrautjäter „Boni-Rob“ war einer der ersten Ackerroboter. Foto: Daniel Maurer

Die Entwicklung der Landwirtschaft

Gerade noch mal gut gegangen: Die Erntebilanz der Landwirtinnen und Landwirte im Herbst 2023 war nach einer „Zitterpartie“ (Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied) schlechter als im Vorjahr, aber in einem „Lotteriespiel“ (Landwirtschaftsminister Cem Özdemir) noch zufriedenstellend.

Worauf Verband und Minister anspielten, war ein Jahr der Wetterextreme, wie sie der Klimawandel nach sich zieht: Trockenheit im Frühsommer, zu viel Regen – oft unwetterartig – im Frühjahr und Spätsommer. Weil solche Kapriolen das „neue Normal“ sein werden, steht der Ackerbau in Mitteleuropa vor Umwälzungen, die man revolutionär nennen kann – allerdings eine eher stille Revolution, wie sie die Landwirtschaft schon einmal, in umgekehrter Richtung, durchlaufen hat. Denn ein Aspekt des Wandels wird dazu führen, dass Ackerlandschaften wieder kleinteiliger, strukturierter und artenreicher werden. „Wir verabschieden uns von den großen, strukturarmen Flächen“, sagt Stefanie Hahn, Sprecherin des Julius-Kühn-Instituts, des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen. Das ist nicht etwa naiv oder romantisierend, sondern wird bereits erforscht: Die in den letzten Jahrzehnten immer riesiger gewordenen Ackerflächen verwandeln sich zurück in kleinteilige, durch Hecken oder Baumstreifen strukturierte Segmente. Das führt zu mehr Bio-Diversität und besserem Schutz vor Bodenerosion.

Daneben tun vielfältige Fruchtfolgen den Böden gut, idealerweise mit Pflanzen, die durch Züchtung an Hitze und Trockenheit angepasst sind, oder mit Kulturarten, die bereits in trockeneren Regionen wachsen.

Die Entwicklung der Landwirtschaft führte, parallel zur Industrialisierung, genau in die umgekehrte Richtung: von einstmals kleinen Mischbetrieben, die nur teilweise für den Markt produzierten und vor allem anbauten, was lokal benötigt wurde, hin zu hochtechnisierten, spezialisierten und intensiv wirtschaftenden Unternehmen mit deutlich weniger Arbeitskräften. Diese bearbeiteten große Ackerflächen mit eintönigen, auf Umsatz ausgerichteten Fruchtfolgen – mit all den Risiken, die jetzt immer deutlicher sichtbar werden.

Vorteil Öko-Landwirtschaft

Nostalgisch wird die Rückkehr zu strukturierten, vielfältigen Agrarökosystemen jedoch nicht sein. In den kleineren Schlägen arbeiten keine Pferdepflüge, sondern modernste Maschinen, gesteuert mithilfe von künstlicher Intelligenz und Drohnen, die Daten sammeln und gezielte Eingriffe erlauben. „Jede Transformation geht nur mit den Landwirtschaften, nicht gegen sie“, erläutert die Diplom-Biologin Stefanie Hahn. „Deshalb brauchen sie Anreize.“ Die liefern Europäische Union und Bundesregierung. Zugleich muss der Agrarsektor seinen eigenen Beitrag leisten, um Treibhausgase zu reduzieren. Die Vorgabe ist ehrgeizig: Rund 8 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland stammen aus der Landwirtschaft, diese müssen schon bis 2030 um 65 Prozent (gegenüber 1990) reduziert sein. In diese Richtung will auch die Industrie: Nestlé zum Beispiel, der weltgrößte Lebensmittelkonzern, investiert im Rahmen eines Fünfjahresplans seit 2020 1,2 Milliarden Schweizer Franken, um die regenerative Landwirtschaft anzukurbeln.

Eine wünschenswerte Landwirtschaft heute und in der Zukunft wird deshalb noch auf anderen Wegen auf Altbewährtes zurückgreifen: auf mehr ökologisch orientierte Betriebe, die ohne Pestizide und mineralische Dünger auskommen, die auch Tierhaltung nur in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Flächen betreiben. Sie sind bei der stillen Revolution in einer speziellen Position. „Öko-Landwirtschaften machen mit Blick auf den Klimawandel ohnehin vieles richtig“, sagt Stefanie Hahn. „Aber man muss auch beachten, wo die größte Wirkung erzielt wird.“ Die Bundesregierung hat das Ziel, bis zum Jahr 2030 die ökologisch bewirtschafteten Flächen in Deutschland auf 30 Prozent auszudehnen. Daneben hilft jedoch auch die weitere „Ökologisierung“ der konventionellen Landwirtschaft, um die ehrgeizigen Emissionsziele zu erreichen.

„Öko-Landwirtschaften machen mit Blick auf den Klimawandel ohnehin vieles richtig.“

Geschäftsmodell Carbon Farming

Ein Hebel dafür ist etwa das „HumusKlimaNetz“, ein Modell- und Demonstrationsvorhaben zum Humusaufbau und -erhalt in Ackerböden, zu dessen Trägern der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft gehört. Bis zunächst Ende 2027 werden bundesweit 150 Betriebe innovative und langfristig wirkende Maßnahmen zum Humusaufbau entwickeln. Humus ist wichtig für einen gesunden Boden, durch seinen hohen Anteil an Kohlenstoff darüber hinaus ein wichtiger natürlicher Kohlenstoffspeicher. Unter dem Namen „Carbon Farming“ wird sogar angestrebt, den Humusaufbau als wirtschaftlichen Faktor im Klimaschutz zu etablieren: Agrarbetriebe nutzen Flächen, um den Kohlenstoffanteil im Boden zu steigern, dafür können sie CO2-Emissionszertifikate verkaufen.

Diesem und vielen anderen Aspekten widmet sich das Julius-Kühn-Institut. Ein neues „Wissensportal Klimaschutz in pflanzenbaulichen Produktionssystemen“ versammelt rund zwanzig Forschungsprojekte. Eines weist sehr in die Zukunft: die Agri-Photovoltaik. Es ist klar, dass große Flächen benötigt werden, um Solarstrom zu „ernten“. Wie Flächen parallel landwirtschaftlich genutzt werden können, gilt es zu erforschen. Wahrscheinlich wird das Land im Detail doch anders aussehen als vor fünfzig oder hundert Jahren.

 

Text: Raimund Witkop