Evelyn Holst Kolumne

Einfach das Plappermaul halten

Psst, schon gehört? Unsere Kolumnistin Evelyn Holst hat ein heimliches Talent: Sie ist total verschwiegen. Vorausgesetzt, man vertraut ihr Brisantes an.

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Illustration: Julia Schwarz

Eine Spezialistin für Geheimnisse

Versprich mir, dass du mit niemandem darüber redest!“ Wenn eine Freundin das von mir verlangt, hoffe ich insgeheim, dass es sich um etwas Spannendes oder richtig Schlimmes handelt. Jedenfalls um etwas absolut nicht Alltagstaugliches. Es klingt fies, aber mein Adrenalinspiegel schießt sofort in die Höhe, besonders wenn ich am Schreibtisch sitze und über meinem eigenen Text gerade eingeschlafen bin. „Natürlich nicht“, sage ich sofort. „Du kennst mich doch“, füge ich hinzu, „also schieß los.“

Genau genommen bin ich nämlich so was wie Spezialistin für Geheimnisse. Ich liebe sie, ich sauge sie geradezu auf. Und wenn ich Romane oder Krimis schreibe, gebe ich meinen Figuren unbedingt Geheimnisse – das garantiert mehr Spannung. In meinem Roman „Gipfelglück“ zum Beispiel treffen Menschen in einem Hotel am Großglockner-Bergmassiv zusammen, und so ziemlich jeder verschweigt irgendwas. Doppelleben, Lebenslügen, alles dabei, Geheimnisse vom Feinsten.

Man darf Brisantes erwarten

Während ich also meiner Freundin zuhöre, mischen sich in meiner Seele genau zwei Gefühle. Echte tiefe Anteilnahme, wenn es um Krankheit, Steuerschulden, keine Aufträge oder einen Ehemann mit einstelligem IQ geht, der glaubt, am Silikonbusen einer 20-jährigen Russin glücklicher zu sein. Oder Enttäuschung, wenn es weder spannend ist noch schlimm, sondern nur Stress mit der Schwiegermutter. Wenn strikte Geheimhaltung gefordert wird, darf man Brisanteres erwarten, finde ich.

Aber ich halte mich an mein Versprechen, weil es in meinen Augen wie ein Gütesiegel ist. Mir wurde ein Geheimnis anvertraut, das eine Freundin mit sonst nie­mandem teilt. Ich wurde auserwählt, also halte ich mein Plappermaul. Bis eine andere Freundin fragt: „Sag mal, hast du gehört, was bei M. gerade los ist?“ Ich schüttele den Kopf, und sie: „Ich soll nicht drüber reden, aber wenn du mir versprichst, es für dich zu behalten, dann …“ So höre ich manchmal gleich mehrmals genau die Geschichte, die mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde. Was ich aus Solidarität natürlich nie zugebe, son­dern jedes Mal verspreche: „Von mir erfährt niemand etwas.“ Dabei finde ich es durchaus ein bisschen albern, wenn jemand die Queen in einem hochgeheimen Drama spielt, um die Geschichte dann in alle Welt zu posaunen.

Das darf aber keiner wissen!

Vor vielen Jahren habe ich in Hollywood ein Interview mit der Romanautorin Jackie Collins gemacht, der Schwester von „Denver“-Biest Joan. Alles kam auf den Tisch. Männer, wilde Partys, Promiklatsch. Und bei jeder süffigen Anekdote sagte Jackie: „Das darf aber nicht an die Öffentlichkeit!“

Ich versprach es und saß später fast weinend vor einem abgetippten Gespräch, von dem ich praktisch nichts drucken durfte.
Mein Auftraggeber sagte: „Na, das ist ja dürftig“, aber ich blieb standfest. Kurz darauf las ich ein Interview mit JC in einer amerikanischen Zeitschrift, in der sie alles ausplauderte, was ich verschweigen sollte. Alles! Da wäre ich am liebsten zurückgeflogen und hätte sie in ihren Swimmingpool geschubst.

Trotzdem halte ich die Klappe, wenn mich eine Freundin um Klappehalten bittet. Ich bitte ja auch oft darum – und bin tierisch sauer, wenn ich merke, dass sich jemand nicht daran hält. Dabei fühlt es sich immer ein bisschen wie für dumm verkauft an, sich als Einzige daran zu halten, wenn alle anderen quatschen. Obwohl – es hätte schlimmer kommen können.

Evelyn Holst

Evelyn Holst arbeitete lange für den „Stern“, eine ihrer Reportagen erhielt den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Heute schreibt sie Romane, von denen einige verfilmt sind, Krimis, Drehbücher und Kolumnen. Evelyn Holst ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Hamburg. Zuletzt erschien von ihr (und Co-Autorin Uschi von Grudzinski) der Roman „Gipfelglück“ (Atlantik Verlag).

Von Evelyn Holst