Klimaschutz: Wie uns das Wissen unserer Vorfahren nützt

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Arbeitspferde, Handarbeit, natürliche Baustoffe: Wie wir das Wissen früherer Generationen zumindest in manchen Bereichen für die Zukunft nutzen. PS: Sogar Zero Waste kannten unsere Vorfahren schon.

Pferd auf einer Wiese
Junge Öko-Kleinbauern bestellen ihre Felder manchmal sogar wieder mit Ackergäulen. Ein Pferdegespann ist natu?rlich viel schonender fu?r den Boden | Foto: iStock

Erster Unverpackt-Laden in Kiel

Marie Delaperrière gilt als Pionierin: Vor fast sieben Jahren eröffnete sie in Kiel ihren Laden „Unverpackt“, den ersten dieser Art in Deutschland. Dort kann man lose Lebensmittel einkaufen. Die Behälter dafür bringen die Kunden selbst mit. Das spart Verpackungsmüll ein und fördert den bewussten Umgang mit Lebensmitteln. Als Pionierin sieht Delaperrière sich jedoch nicht. „Ältere kennen das Konzept noch von früher“, sagt sie und spielt damit auf die Tante-Emma-Läden an. Rund 250 Unverpackt-Läden gibt es mittlerweile.

Zurück in die Zukunft: Marie Delaperrière gründete den ersten Unverpackt-Laden in Deutschland.

Umwelt- und Klimaschutz werden immer wichtiger

Auch tegut… Kunden können in einigen Märkten seit ein paar Jahren Waren wie Nudeln, Müsli oder Nüsse selbst abfüllen. Vieles, was einmal selbstverständlich war, hat heute Konjunktur. Die Gründe liegen im gestiegenen Bedürfnis der Menschen nach mehr Umwelt- oder Klimaschutz. Sie finden sich aber auch im Wunsch wieder, dem oft hektischen Alltag etwas entgegenzusetzen: Entschleunigung und Halt durch einen bewussteren, nachhaltigen Lebensstil. Gesunde Lebensmittel einkaufen, wieder mehr selbst kochen, Gemüse im eigenen Garten anbauen, Heilkräuter wiederentdecken etwa. Auch umweltfreundliche Reinigungsmittel selbst herstellen, Bienenvölker auf dem Hochhausdach
halten, die alten Socken lieber stopfen statt neue kaufen – die Liste der Möglichkeiten ist mindestens so lang wie die der VHS-Kurse, Bücher, Zeitschriften oder YouTube-Tutorials, die sich Omas Nähtricks, Großvaters Gartentipps sowie Anleitungen fürs Heimwerken und Handarbeiten widmen.

Pustertaler Rinder
Wieder en vogue: alte Nutztierrassen wie das Pustertaler Rind

Altes Wissen in der Landwirtschaft

Altes Wissen wiederentdecken und damit besonders zukunftstauglich sein – dieses Denken breitet sich vor allem in der Landwirtschaft aus. Aus ein paar Einzelkämpfern ist eine Bewegung gewachsen. Gut 34.000 Landwirte arbeiten in Deutschland heute als Bio-Bauern, Tendenz seit Jahren stark steigend. Sie nutzen die natürlichen Methoden ihrer Ahnen, wenn sie zum Beispiel im Ackerbau auf synthetische Dünger verzichten und ihre Böden durch Mulchen mit Pflanzenresten fruchtbar halten. Oder wenn sie wegen des Anbaus von Misch- statt Monokulturen keine Pestizide einsetzen müssen.

Mit der Widerstandsfähigkeit der Ernte argumentieren auch die Züchter in Vergessenheit geratener Obst- und Gemüsesorten.

Genetische Variabilität der Tiere

Vereine wie die „Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen“ in Witzenhausen haben neben der Verpflichtung zum Kulturgut ebenfalls die Zukunft im Blick. Die größere genetische Variabilität der Tiere sei wichtig, wenn sich die Rahmenbedingungen durch den Klimawandel ändern, versichern die Initiatoren. Die Gesellschaft zertifizierte bisher rund 100 sogenannte Arche-Höfe, auf denen vom Aussterben bedrohte Haustierrassen gezüchtet und, gewinnbringend, vermarktet werden. Die Ausstattung der Arche-Ställe klingt dabei wie eine Blaupause für Bio-Betriebe: Es gibt Einstreu aus Stroh, viel Platz für die Tiere und genügend Auslauf ins Freie.

Frau strickt einen Schal
Auch Do-it-yourself-Aktivitäten wie Stricken und Handwerken ist wieder in | Foto: Stocksy

Die Tomatenretter am Rand von Hamburg

Mit der Widerstandsfähigkeit der Ernte argumentieren, neben dem besseren Geschmack, auch die Züchter in Vergessenheit geratener Obst- und Gemüsesorten. Wie die „Tomatenretter“ am Rand von Hamburg. Auf ihrem „Hof vorm Deich“ bauen sie alte, sogenannte samenfeste  Sorten der Nachtschattengewächse an. Ihre Stoffe halten Fressfeinde ab – und dem Klimawandel besser stand. Dazu kommen neuerdings Start-ups wie die „Ackercrowd“, die eine noch ursprünglichere Forst- und Landwirtschaft nach den Prinzipien der Permakultur forcieren wollen. Oder immer mehr junge Bauern, die ihre Felder lieber mithilfe von Ackergäulen bestellen, weil Pferde viel weniger Schaden beim Boden anrichten als schwere dieselgetriebene landwirtschaftliche Maschinen. So wie es früher einmal normal war, ehe die industrialisierte Landwirtschaft übernommen hat.

Nachhaltigkeit beim Wohnen und Bauen

Nicht nur in Ackerbau und Viehzucht gibt es unzählige Beispiele. So ist der Anteil von Holzwohnhäusern laut Statistischem Bundesamt von 2009 bis 2019 um fast 30 Prozent gestiegen. Hält der Trend an, könnten laut dem Thünen-Institut für Holzforschung in Hamburg bis 2030 insgesamt 12 Millionen Tonnen an klimaschädlichen Treibhausgasen eingespart werden. Zum Vergleich: Der Flugverkehr innerhalb Deutschlands macht jährlich zwei Millionen Tonnen aus. Als Baustoff ist auch Lehm eine Wiederentdeckung. Er sorgt für Wärme im Winter und für Kühle im Sommer wie ein modernes Hightechmaterial – ist aber zu 100 Prozent biologisch. Ursache des Umdenkens ist die Zunahme zahlreicher Krankheiten, die Umweltmediziner auf ungesunde Wohnverhältnisse zurückführen, vor allem im hochgedämmten Neu- und Altbau. Jahrelang haben wir auf der Überholspur gelebt. Nicht erst seit Corona dämmert uns, dass es so nicht weitergehen kann. Auf dem Weg in die Zukunft nutzen wir das Wissen unserer Vorfahren. Denn so schützen wir die Natur, das Klima – und uns selbst.

Von Christian Sobiella