Faulsein ist wunderschön

Diesen Sommer könnten wir doch mal versuchen, das Ruder beiseitezulegen und uns treiben zu lassen, um Profi im „Niksen“ zu werden.

Bootspitze mit Paddel im Wasser
Sich einfach mal zurücklehnen und die Ruhe genießen: In diesen kostbaren Momenten können wir die Natur wirklich als Kraftquelle für uns nutzen. | Foto: Stocksy

Mein Plan: Einfach mal niksen

Endlich Sommer! 92 helle, lange Tage liegen vor uns. Meteorologisch gerechnet sind das 2208 Stunden, in denen so viel möglich ist. Und ich? Will lieber nicht in ein Surfcamp nach Portugal oder im Clubhotel Bogenschießen lernen, mag weder Triest noch Turin entdecken. Mein Plan ist einfach nur: Nichtstun. Ich will Pause machen. Runterkommen.

Von mehr als zwei Pandemiejahren und den Weltnachrichten. Vom schnellen Leben, über das ich nicht einmal sicher sagen kann, wann genau es mich effizienzdruckbetankt auf den Highway der Hetze katapultiert hat. Was ich weiß: Das Tempo, das der hochbeschleunigte Alltag von mir fordert und das ich ständig einhalte, macht mich immer müder. Der Plan für diesen Sommer also: aufs Bremspedal treten, rechts rausfahren und dem Wegweiser nach „Niksen“ folgen.

Niksen oder Nichtstun in den Niederlanden 

So nennen Menschen in den Niederlanden den Zustand des Nichtstuns. Ist das nicht ein wunderbares Sommerwort – und der beste Vorsatz? Die geöffneten Tabs im Kopf schließen, Flugmodus an. Einfach nur sein. Als ich mich neulich im Baumarkt in die Abteilung für Gartenmöbel verirrte, war ich begeistert vom zwar nicht ganz günstigen, aber gut gepolsterten Angebot für Nikserinnen und Nikser und alle, die es werden wollen: hippe Hängesessel für die Terrasse, Liegeinseln für den Garten.

Doch – Hand aufs Herz – wie lange schaffen wir es tatsächlich, uns entspannt auszustrecken und nichts zu tun? Statt die eigenen Gedanken den Wolken am Sommerhimmel hinterhertreiben zu lassen, begrübeln wir dieses und jenes oder greifen zum Handy, tippen noch schnell eine Nachricht, liken oder kommentieren das Leben der anderen, erledigen den versprochenen Rückruf, checken die Schlagzeilen, bevor wir uns aufsetzen, um in der Küche ein Kaltgetränk zu holen. Ah, die Spülmaschine ist durchgelaufen. Schnell ausräumen, geht doch fix. Und schon ist das Nichtstun vorbei, bevor wir überhaupt richtig damit begonnen haben.

Zwei gelbe Sonnenschirme unter blauem Himmel
Schirm aufspannen, Liege aufstellen und loslegen mit: nichts. Richtig Pause zu machen ist eine Kunst, die immer wichtiger wird. | Foto: Stocksy

Irgendwas ist immer. Vor allen Dingen zu Hause, wo einen so ziemlich auf jedem Quadratmeter irgendein To-do ungeduldig am T-Shirt-Ärmel zupft: Dein Tag ist unverplant – keine Sorge, nicht mehr lange! Du freust dich über einen freien Nachmittag? Das darf nicht sein! Niksen? Na warte! Also lieber raus aus der Hütte und die Flucht nach vorn antreten.

„Gönn dir eine Minute nur für dich“, hat jemand mit weißer Farbe auf die hölzerne Sitzbank geschrieben, die unweit von meinem Hamburger Zuhause an der Elbe in einem Park steht. Wenigstens eine Minute und nichts weiter tun, als auf die im Sonnenlicht glänzenden Hafenkräne zu blicken, die verschiedenen Vogelstimmen in den Bäumen wahrzunehmen, der aufgeregt krabbelnden Ameise vor den eigenen Füßen zuzuschauen und maximal darüber nachzudenken, ob später in der Eisdiele Mango oder Zitrone in die Waffel kommt.

Aktionismus siegt über Leerlauf

Ich schaffe immerhin gefühlte acht Minuten, bis mich die innere Unruhe packt. Mein Gehirn schaltet vom „Default Mode“, so nennen Neurowissenschaftler den Leerlaufmodus, zurück in den „Zack, weiter geht’s“-Gang. Ich hole mein Handy aus der Tasche. Wie unbewusst dieser Griff längst sitzt!

Eine Zeitlang habe ich mir meine tägliche Bildschirmzeit auswerten lassen – sie lag meist weit über meiner eigenen Einschätzung. Ich nehme mir vor, das Handy in diesem Sommer wirklich öfter ganz zu Hause zu lassen. Mit einigem Aufwand an Disziplin ignoriere ich vier neue WhatsApp-Nachrichten. Dafür tippe ich den Schrittzähler an. 6.563 Schritte habe ich heute gemacht, also besser schnell weiter, schließlich will ich auf 10.000 kommen. Ist gut für die Gesundheit. Selbst mit meinem Spaziergang will ich einen Zweck erfüllen. Uff!

Frau im roten Bikini isst Melone
Ein Stück Wassermelone ist wie ein Stückchen vom Urlaub: reinbeißen und vom Strand im Süden träumen. | Foto: Stocksy

Ich bin sicher: Die großbürgerlichen Flaneure, die im 19. Jahrhundert in Paris mit größter Gemächlichkeit und angeblich sogar Schildkröten an der Leine dem immer schneller werdenden Industriezeitalter entgegentraten, würden verächtlich die Nase rümpfen, wenn sie sehen würden, wie es mich unter blauem Himmel vorantreibt „Gar nichts zu tun, das ist die allerschwierigste Beschäftigung auf dieser Welt, die schwierigste und die intellektuellste“, stellte der Schriftsteller Oscar Wilde fest.

Nichtstun ist verpönt

Dazu kommt: Nichtstun und Faulsein ist nicht nur verdächtig, sondern geradezu verpönt. So haben wir es seit Generationen schon verinnerlicht und sind ständig fleißig wie die Bienen. Mit Muße in den Tag hineinzuleben – das dürfen Kunstschaffende und Kreative. Uns selbst gestatten wir es viel zu selten. Zeit ist eben nicht Geld Einer der größten Müßiggänger der Neuzeit, John Lennon, erregte mit seiner Frau Yoko Ono 1969 mit der Kunstaktion „Bed-in“ weltweites Aufsehen.

Zwei Wochen lang blieb das Paar einfach im Bett, um für den Weltfrieden zu demonstrieren – eine Woche in der Präsidentensuite eines Amsterdamer Hotels, die andere in einem Hotelzimmer in Montreal. Wie herrlich wäre es, einfach mal liegen zu bleiben, ein bisschen Gitarre zu spielen und einander an der Hand zu halten, denken wir etwas neidisch, aber da klingelt leider schon der Wecker und wir springen mit wehenden To-do-Listen hinein in unseren getakteten Alltag. Und packen möglichst auch noch unsere Freizeit mit nützlichen Aktivitäten voll.

Warum? Dieser Frage geht die Niederländerin Annette Lavrijsen nach in ihrem Buch „Niksen – Wie man Glück im Nichtstun findet“. „Viel zu tun zu haben wird mit Erfolg gleichgesetzt. Wir haben von Kindheit an gelernt, dass nur durch harte Arbeit gesellschaftlicher Aufstieg oder wirtschaftlicher Erfolg zu erreichen ist …

Immerhin ist Zeit ein wertvolles Kapital, das man klug investieren muss.“ Lavrijsen ist überzeugt: Wir müssen wieder lernen, dass Zeit eben nicht Geld ist und die eigene Zeit niemand anderem als einem selbst gehört. Nichtstun – nicht nur am Wochenende oder in den Ferien in die alltäglichen Routinen eingebaut – sei eine langfristige Lösungsstrategie, um in unserer schnelllebigen, supervernetzten Zeit gesund und glücklich zu bleiben.

Müßiggang ist auch Selbstfürsorge

Müßiggang ist also eben nicht aller Laster Anfang, sondern ein Akt der Selbstfürsorge. Wann, wenn nicht an den langen Sommertagen, an denen sich auch das geschäftige Leben verlangsamt, lädt das Leben uns so warmherzig ein, fünfe gerade sein und uns treiben zu lassen? Um mit dem Fahrrad loszufahren und noch mal und noch mal in den See zu springen. Um so lange ins Lagerfeuer zu schauen, bis die Flammen ihren Tanz beenden und nur noch ein ganz bisschen Glut glimmt. Keine Projekte, keine permanente Geschäftigkeit.

Innere Antreiber lassen sich in diesen Wochen mit dem so wunderbar passenden Ausspruch des griechischen Philosophen Diogenes abfertigen, der einst von seinem Platz in der Tonne aus zu Alexander dem Großen sprach: „Geh mir aus der Sonne.“ Oder wir leihen uns die Worte von im Niksen recht begabten Teenagern: „Ey, lass mich in Ruhe, ich chille!“ Wir können jederzeit eine Not-to-do-Liste schreiben oder einen Keinkaufszettel, wie es der in Österreich gegründete „Verein zur Verzögerung der Zeit“ empfiehlt.

Katze, die auf der Seite döst
Meisterin im Ausruhen: Eine Katze döst und schläft etwa doppelt so viel wie wir Menschen. | Foto: Stocksy

Und ich? Ich verlangsame meine Schritte unten am Fluss in der großen Stadt, setze mich in den warmen Sand am Ufer, ziehe meine Schuhe aus und schließe die Augen. Ich atme und denke, was für ein Geschenk diese 2.208 Sommerstunden sind. Nutzen wir möglichst viele davon – einfach nur zum Niksen. 

Outdoor-Spiele für den gepflegten Müßiggang

Klack – diese Kugeln machen glücklich: Ein bisschen zielen, ein bisschen unter blauem Himmel im Park herumstehen und dabei mit Freundinnen und Freunden plaudern. Boule ist ein echter Klassiker. Ebenfalls super für Park und Garten: Wikingerschach – auch Kubb genannt. Mit Wurfhölzern versuchen die Spielenden einer Mannschaft, die Holzklötze der anderen umzuwerfen. Die Regeln sind ruckzuck erklärt. Ähnlich easy ist Leitergolf. Bei diesem hierzulande noch recht unbekannten Geschicklichkeitsspiel zielt man mit seinen Bolas – das sind jeweils zwei mit einem kurzen Seil verbundene Kugeln – auf ein dreisprossiges Gestell und sammelt dabei Punkte. (Schwedische Kubb- und Leitergolf-Sets aus Holz gibt’s bei kubb-spiel.de, Boule-Kugeln für Einsteiger hat decathlon.de)

Der passende Soundtrack für diesen Sommer 

  • Max Raabe – Der perfekte Moment
  • Bruno Mars – The Lazy Song
  • Judith Holofernes – Nichtsnutz
  • Clueso – Flugmodus
  • Otis Redding – (Sittin’ On) the Dock of the Bay
  • Pink – Cover Me in Sunshine
  • Lana Del Rey – High By the Beach
  • Die Toten Hosen – Tage wie diese
  • Peter Licht – Sonnendeck
  • Bosse – Der Sommer

Muße zum Lesen: Erwecke das Faultier in dir!

  • Annette Lavrijsen, Brittney Klein: „Niksen – Wie man Glück im Nichtstun findet“, Knesebeck Verlag
  • Jenny Odell „Nichts tun – Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen“, C. H. Beck 
  • Tom Hodgkinson „Anleitung zum Müßiggang“, Insel Verlag

Drei gute Gründe, öfters mal nichts zu tun:

  1. Tieferer Schlaf: Wer sich regelmäßig Ruhepausen gönnt, senkt das eigene Stresslevel. Das Ergebnis: Auch abends kommt man besser zur Ruhe.
  2. Mehr Effizienz: Umständlichkeit oder Langwierigkeit ist der Faulen Sache nicht. Im Gegenteil, wer das Faulsein beherrscht, ist tendenziell gut darin, einfache L.sungen zu finden.
  3. Höhere Kreativität: Studien belegen, dass unser Gehirn Langeweile braucht, um kreativ zu werden. Ruhe im Kopf fördert das Entstehen neuer Ideen.