Kolumne von Okka Rohd

Alles wird gut

Eigentlich glaubt unsere Kolumnistin Okka Rohd nicht an Horoskope, Wachsgießen und Zahnfeezauber. Eigentlich. Aber dann findet sie eine Welt, der man Wunder zutraut, doch viel schöner.

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Illustration: Katja Grosskinsky

Ich kenne diesen Blick und weiß, was gleich kommt. Und da kommt es auch schon. „Wieso um alles in der Welt liest du ein Jahreshoroskop?“, mufft der Mann mit einer in Falten geworfenen Stirn. Es ist der Blick, den er normalerweise für Fußballniederlagen in der Verlängerung reserviert. „Soll ich dir deines vorlesen?“, frage ich, als hätte ich ihn nicht verstanden. „Wieso sollten mich ein paar Gesteinsbrocken interessieren, die irgendwo im All herumfliegen?“, brummt er. Ich seufze. Und lese trotzdem vor.

Traditionen zum Jahreswechsel

Es ist schon merkwürdig. Eigentlich glaube auch ich nicht an Horoskope – jedenfalls nicht an den Teil, in dem steht, dass es beruflich ein Jahr voller Herausforderungen wird –, lese sie aber trotzdem. Wie laut einer Umfrage übrigens 39 Prozent aller Frauen. Ich gieße zu Silvester Wachs (das letzte Mal, als ich kein bisschen daran geglaubt habe, dass der Klumpen, den ich gegossen habe, wie ein Baby aussieht, wurde im Jahr darauf meine zweite Tochter geboren).

Am letzten Tag des Dezembers schreibe ich all die Dinge und Menschen auf einen Zettel, die ich nicht mit ins neue Jahr nehmen möchte, verbrenne ihn feierlich auf dem Balkon und puste die Asche in den Wind, meistens begleitet von weniger freundlichen Versionen des Grußes „Und tschüss!“. Und ich kaufe für meine Freundinnen und mich Anfang Januar eine Ladung Überraschungseier, damit bei unserem traditionellen Neujahrs-Burger-Essen jede eines ziehen kann und wir sehen, was das Jahr uns bringt.

39 Prozent aller Frauen lesen Horoskope

Ich bin mir der Beknacktheit all dieser Dinge vollends bewusst und glaube trotzdem an sie. Nicht obwohl, sondern weil sie mit Vernunft, Logik und Rationalität nichts zu tun haben. Mir ist klar, dass das Spielzeug in einem Schokoladenei mir nicht wirklich verrät, ob 2019 ein Knallerjahr wird. Aber ich mag diesen kurzen Moment, in dem das Glauben sich kein bisschen fürs Wissen interessiert. Und ich mir einfach mal vorstelle, dass der Minirennwagen für ein Jahr auf der Überholspur steht.

Ein Blick in die Zukunft

Wahrscheinlich entspringt all das dem Wunsch, einen kleinen Blick auf die Zukunft zu werfen, diese kapriziöse Zeit, die nie zurückschaut, wenn man sie fragend ansieht. Dem Wunsch, wenigstens ein klitzekleines bisschen zu glauben, dass schon alles gut werden wird in dieser Welt voller Ungewissheiten. Wie sagte die Fernsehärztin Dr. Meredith Grey einmal so schön? „Wir bauen auf Aberglauben, weil wir schlau genug sind, zu wissen, dass wir nicht alle Antworten haben.“ Und warum auch nicht? Mir kommt eine Welt, der man Wunder zutraut, sehr viel lebenswerter vor als eine, in der es nur Platz für restlos aufgehende Gleichungen gibt.

„Wir bauen auf Aberglauben, weil wir schlau genug sind, zu wissen, dass wir nicht alle Antworten haben“

Vor ein paar Tagen erwische ich ihn übrigens dabei, wie er am Kopfkissen meiner großen Tochter herumzupft. „Was tust du da?“, frage ich leicht irritiert. „Soll die Zahnfee heute denn gar nicht kommen?“, fragt er empört zurück. Himmel, ja, die Zahnfee. Das hatte ich völlig vergessen. Er zum Glück nicht. Also sitzt er da, versteckt einen Zettel, den er mit rosa Glitzerstift beschrieben hat, und eine Tüte Himbeerbrause unter dem Einhornkissen meiner Tochter. Ich grinse und sage einfach mal nichts.

Portrait Okka Rohd
Portrait: Marlene Sørensen

Okka Rohd Die Journalistin Okka Rohd lebt mit Mann und zwei Töchtern in Berlin. Außer Kolumnen, Artikeln und Büchern schreibt sie regelmäßig in ihrem Blog „Slomo“ (okkarohd.com). 2017 erschien „Herd- wärme“ (Kailash Verlag), eine „Liebeserklärung an das Kochen, das gute Essen und wunderbare Köchinnen und Köche“.

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Von Okka Rohd