Spontan sein: es ist ganz einfach!

Spontanität ist das Salz des Lebens

Schönes Wetter draußen, aber einen vollen Schreibtisch drinnen? Viel zu oft nutzen wir die Gunst des Moments nicht und folgen stur unseren Plänen. Dabei wird das Leben erst bunt, wenn der Impuls auch mal die Vernunft besiegt.

Mal eben aufs Rad setzen und an den nächsten See fahren: Wenn wir zusammen mit anderen etwas Spontanes tun, merken wir oft sofort, wie belebend das für uns ist | Foto: Getty Images

Beschreibe deine Spontanität in zwei Worten! Die Antwort: Später vielleicht. Was hier als lustiger Spruch daherkommt, birgt eine müde Wahrheit: Den meisten von uns ist die Spontanität im Leben ziemlich abhandengekommen. Vor allem durch die Coronapandemie, die mit ihren Einschränkungen so lange auf jedem impulsiven Funken in uns herumgetrampelt ist, bis er erstickt war. Stattdessen sind wir immer tiefer in unsere Sofas gesunken, und da sitzen wir nun träge und schlaff und trauern den alten spontanen Zeiten hinterher.

Rheingold-Instituts: Lust auf Inspiration und Spontanität sei verloren gegangen

Die Menschen vermissen die frühere Unbeschwertheit und Selbstverständlichkeit, mit denen man dem Leben und seinen Verlockungen oder Herausforderungen begegnete, sagt Stephan Grünewald, Leiter des renommierten Rheingold-Instituts, das in Befragungen regelmäßig dem Befinden der Deutschen nachspürt. Die Lust auf Inspiration sei verloren gegangen, heißt es dort weiter. Spontanität werde durch ständige Selbstkontrolle ersetzt oder ausgebremst. Bevor man etwas unternehme, überlege man dreimal, ob sich das auch wirklich lohne. Oft entscheidet man sich dann, doch lieber zu Hause zu bleiben.

Zwar stammen diese Ergebnisse aus dem Frühjahr 2022, als das Coronavirus noch virulenter war, aber aus der Rheingold- Studie mit dem Titel "Wie ticken die Deutschen" geht auch hervor, dass nur 22,6 Prozent der Menschen wieder zu der Lebensfülle und Risikobereitschaft der Vor-Corona-Zeit zurückkehren wollen. Hinzu kommt, dass sich die neuen weltweiten Krisen, die wir seitdem erleben, zusätzlich negativ auf die Lebensfülle auswirken.

Spontanität als Katalysator

Und nun bleiben wir zu 77,4 Prozent auf dem Sofa sitzen und planen, wenn überhaupt, nur noch mit großem Vorlauf? Nein, wir brauchen eine Energiewende, auch für uns, im Privaten, die uns raus aus den eigenen vier Wänden treibt und wieder in die Gänge kommen lässt. Spontanität ist dafür ein prima Katalysator, der jetzt im Frühling extra gut funktioniert. Alles wacht und blüht auf, da sind wir dabei – und wecken gleich mal unseren Spontanitätsmuskel. Den gibt es zwar nur im übertragenen Sinne, aber tatsächlich steckt die Spontanität von Geburt an in uns. In der Kindheit leben wir sie allerdings meist deutlich mehr aus als später, wenn die durchgeplante Erwachsenenwelt zunehmend in unser Leben tritt.

Andere mitzureißen tut gut

Der Psychologe und Sozialforscher Jacob Levy Moreno sah schon in den 1940er-Jahren, dass Spontanität in direkter Verbindung mit der Kreativität des Menschen steht, für Moreno eine der höchsten Erscheinungsformen des produktiven Lebens. Er war überzeugt: Spontanität und unser individuelles Wohlbefinden sind direkt miteinander verbunden, das führt am Ende zu dynamischeren, kreativeren und damit glücklicheren Gemeinschaften.

Spontanität tut also nicht nur uns selbst, sondern auch unserem Umfeld gut, weil sie etwas Mitreißendes hat. Wer spontane Ideen hat, kann häufig auch andere dafür begeistern. Spontanität ist darüber hinaus eine wichtige Problemlösungskompetenz. Als spontaner Mensch ist man in der Lage, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, sozusagen out of the box“ zu denken und neue Lösungswege zu gehen, statt in starren Mustern zu verharren.

Das tolle Restaurant hat überraschend zu? Na, dann improvisiere ich und lade euch eben ein zu Pommes im Imbiss an der Ecke! Spontanität hilft dabei, sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen. Bin ich jemand, der einen genauen (Lebens-)Plan hat, werden mich Veränderungen schneller aus dem Konzept bringen und unter Umständen sehr unglücklich machen. Spontane Menschen hingegen haben John Lennons Textzeile aus dem Song Beautiful Boy“ tief verinnerlicht: Life is what happens to you while you’re busy making other plans“ (Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen).

Spontanität stärkt somit auch unsere Widerstandskraft, die darüber entscheidet, wie gut wir mit Krisen umgehen können – Stichwort Resilienz. Bei Spontanität geht es also um weit mehr als nur darum, einen blöden Spruch geistreich kontern zu können und nicht immer erst im Nachhinein die passende Antwort zu haben. Spontanität bedeutet Lebenskunst und sorgt für mehr Leichtigkeit, eine Sehnsucht, die seit Corona besonders groß ist. Spontanität ist befreiend, macht uns mutiger und kreativer. Kurz: Sie ist ein Garant für mehr Lebensfreude.

Kleiner Spontanitätskurs

Ausreichend motiviert, um sich hier direkt ins Spontanitätsmuskeltraining zu stürzen? Dann nix wie los!

Erste Station auf dem Trainingspfad: Den Tag nicht zu voll mit Terminen packen, denn sonst bleibt – logisch – gar kein Platz für Spontanität, und die Dinge, die man tut und erlebt, werden nur noch so abgehakt.

Einen Terminkalender mit wohltuenden Lücken zu pflegen ist gar nicht so leicht. Wenn man zum Beispiel jemanden treffen möchte, der auch immer viel vorhat, findet man den nächsten Termin vielleicht erst in drei Monaten. Hat man ein paar solcher Freundinnen und Freunde, ist der Kalender plötzlich schon ein halbes Jahr im Voraus gefüllt und an dem schon vor langer Zeit vereinbarten Termin hat man womöglich gar keine Lust auf die Verabredung. Deshalb: Einfach mal versuchen, sich auch mit Langplanenden spontan zu treffen. Die Erfolgsaussichten sind erfahrungsgemäß gar nicht so schlecht.

Zweite Station: Nicht immer alles bis zum Letzten durchdenken, bevor man etwas sagt oder auf etwas reagiert. Das stresst. Im Umkehrschluss heißt das natürlich nicht, alles unreflektiert rauszuhauen. Aber es ist wirklich nicht gesund, sich alle möglichen Reaktionen seines Gegenübers vorab immer genau auszumalen.

Dritte Station: Die berühmte Komfortzone verlassen und sich Dinge trauen, die man sonst nicht macht. Bei der Party als Erste oder Erster auf die Tanzfläche gehen, im Freizeitpark in die Achterbahn steigen, die einem eigentlich ein bisschen zu steil erscheint, oder einen fremden Menschen ansprechen, der im Bus, im Wartezimmer oder im Café neben einem sitzt.

Vierte Station: Fehler zulassen und sie als etwas Positives sehen, nämlich die Chance für Entwicklung. Niemand ist vollkommen. Trotzdem ist unsere Angst, Fehler zu machen, oft sehr groß und was schiefgegangen ist, hängt uns noch lange nach. Die Sorge vor Fehlern bremst allerdings jegliche Spontanität aus. Und die Chance, aus Fehlern zu lernen, sollte man sich sowieso nicht nehmen lassen.

Fünfte Station: Ja sagen. Ein Ja ist die Voraussetzung für Spontanität, ein Nein ihr Todesurteil“, schreibt Ralf Schmitt, Spontanitätsexperte, Speaker und Trainer, in seinem Ratgeber 30 Minuten Spontaneität“. Klingt einleuchtend, aber wer mal genau darauf achtet, wird feststellen, wie stark unser Nein-Reflex ausgeprägt ist. Denn auch ein Ja, aber ist häufig ein verstecktes Nein. Ein Ja, und hingegen eröffnet neue Perspektiven.

Sechste Station: Selbstbestimmt handeln. Spontan zu sein hat auch etwas mit Selbstbewusstsein und selbstbestimmtem Handeln zu tun. Ich trau mich, Dinge anders zu machen als der Rest“, Ich stehe zu meinen eigenen Überzeugungen“, Ich lasse mich nicht von anderen zu Dingen überreden, auf die ich keine Lust habe“. Alles Mantras, die uns weiterbringen in Sachen spontaner Persönlichkeitsentfaltung.

Übrigens: Spontanität heißt keinesfalls, in Planlosigkeit zu verfallen. In dieser Hinsicht kann uns auch Ralf Schmitt beruhigen: "Wir sind zu sehr an Verpflichtungen und gesellschaftliche Regeln gebunden, die wir verinnerlicht haben, um vollständig ohne Plan dazustehen. Die große Kunst ist es jedoch, die Balance zwischen dem eigenen ‚Masterplan‘ – den gesammelten und wohldurchdachten Zielen, Wünschen und Gewohnheiten – und der Fähigkeit, den Augenblick zu leben, zu finden.“ Wenn uns demnächst also wieder mal jemand auffordert: Beschreibe deine Spontanität in zwei Worten!, dann können wir hoffentlich antworten: Wieder erwacht!

Spontane Unternehmungen, allein oder mit der Familie

Auf neuen Pfaden wandeln: Den Zufall entscheiden lassen, wo es langgeht. An jeder Kreuzung spontan neu entscheiden: rechts, links oder geradeaus und gucken, wo die Random-Reise hinführt.

Bekannte Pfade neu entdecken: Das Kind ist genervt, weil es keine Lust hat, spazieren zu gehen? Spontane kleine Aufgaben machen den Weg interessanter: Finde einen glatten Stein, leg aus Stöcken ein Wort, sammle Moos, such eine Höhle.

Das Wetter ist gut? Die Mittagspause mit kleinem Picknick draußen verbringen und als Me-Time nutzen oder gleich die neue Kollegin mitnehmen, mit der man sich ohnehin längst mal zum Essen verabreden wollte, aber der Kalender ist ja so voll.

Spontan kochen: In Kühlschrank und Vorratskammer schauen und aus dem Vorhandenen, das bald verbraucht werden muss, ein Gericht improvisieren.

Gemeinsam mitlachen, mitleiden, mitfiebern: Statt heute Abend solo zu netflixen, lieber mal wieder in ein echtes Kino gehen.

Keine Unternehmung im klassischen Sinne, aber immer schön für beiden Seiten: Jemandem spontan sagen, dass man ihn oder sie mag.

Spontan was Unternehmen mit Nachbarinnen und Nachbarn

Am 26. Mai ist der Tag der Nachbarn, aber natürlich lässt sich auch jeder andere Tag dazu machen.

Gemeinsam Gutes tun: Zum Müllsammeln verabreden und so für eine saubere Nachbarschaft sorgen.

Musik verbindet: Die Tuba aus dem 1. Stock, die Gitarre von gegenüber und das eigene Ukulelen-Ich haben Lust, zusammen Musik zu machen? Super. Am besten direkt zum Üben treffen und am 26. Mai für die Nachbarschaft ein Hofkonzert geben.

Grün-Initiative: Wer einen Hinterhofgarten hat oder eine Fläche für Beete vor der Haustür, verabredet sich zum Gärtnern. Laut einer aktuellen Studie steigert gemeinsames Buddeln, Pflanzen und Jäten das Wohlbefinden besonders und hilft gegen Stress und Ängste.

Modentausch: Statt virtuell zu kleiderkreiseln, einfach mal mit Nachbarinnen zum Klamottentausch treffen.

Flohmarkt: Was man selbst nicht mehr haben will, macht jemanden anders glücklich – beim Nachbarschaftsflohmarkt. Anschließend die Erlöse spenden oder in eine Kasse einzahlen und davon das nächste Nachbarschaftsfest schmeißen.

Selbstversuch: Einen Tag lang mal impulsiv sein und alles spontan machen – geht das überhaupt? 

Darf ein Spontanitätsexperiment mit einem geplanten Schritt beginnen? Egal, geht in meinem Fall nicht anders. Damit ich am nächsten Tag alles spontan machen kann, muss ich im Vorfeld mit Mann und Tochter klären, dass ich morgen nicht um 7 Uhr aufstehen werde, wenn der Schulwecker klingelt, es sei denn, ich habe spontan Lust dazu (unwahrscheinlich).

Am nächsten Morgen bleibe ich also liegen und lass die beiden allein machen, was mir dann doch gar nicht so leichtfällt. Ich habe Lust auf Frühstück im Bett und glotze dazu eine Folge Killing Eve“. Das wiederum fällt mir sehr leicht. Als das Telefon klingelt und auf dem Display die Nummer meiner Tante erscheint, bin ich so frei und gehe nicht ran. Ein gutes Gefühl, weil ich nämlich gerade gar keine Lust habe, zu telefonieren.

Mich zieht es raus. Ich beschließe, mir bei meinem Lieblingsbäcker einen Kaffee zu holen. Leider erwartet mich heute dort die zuverlässig unfreundliche Bedienung. Normalerweise sehe ich dann zu, dass ich schnell wieder rauskomme, heute (es ist Raus-aus-der- Komfortzone-Tag) entscheide ich mich dazu, sie in ein Gespräch zu verwickeln – und siehe da, es klappt und ich ernte sogar ein Lächeln.

Aufgeladen von so viel überraschender Freundlichkeit stürze ich mich in ein kleines Abenteuer. Ich besteige den Bus in eine Richtung, in die ich normalerweise nie fahre. Dieses ziellose Sightseeing in der eigenen Stadt habe ich mir in der Theorie schon oft ausgemalt, tatsächlich fühlt es sich jetzt in der Praxis auch richtig gut an, so gut, dass ich bis zur Endhaltestelle fahre. Mit mir steigt noch eine Frau aus. Ich frage sie, ob es hier ein nettes Café gibt. Gibt es. Im italienischen Stil mit italienischer Bedienung, was mein Urlaubsgefühl noch verstärkt. Ich mache ein Foto, schicke es meiner Freundin. Guck mal, wo ich heute gelandet bin.Das sieht ja toll aus, simst sie. Darauf ich: Komm doch vorbei. Darauf sie: Schon unterwegs!

Von Katharina Wantoch